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Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition)

Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition)

Titel: Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition)
Autoren: Michael Jürgs
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Mit der habe er auch zu tun gehabt. »Da wurde der schon mal bleich, und ich sagte ihm, dass ich sicher Hunderte von Berichten geschrieben hatte von all meinen Reisen als Sportler und später auch. Er könne die aber alle bei Gauck anfordern und durchlesen, und falls er in nur einem etwas finden würde, das mich belaste, wenn er nur ein Beispiel entdecken würde, das ich einen Kollegen denunziert habe, dann würde ich freiwillig gehen. Ich war mir meiner Sache sicher, denn ich wusste ja, das hatte ich nie gemacht.«
    Mühlfenzl fand zwar nichts, aber für Urban gingen dennoch auch persönlich die Lichter aus, als Ende 1991 der Sendebetrieb eingestellt und alle Lichter in Adlershof ausgeschaltet wurden. Er machte ein halbes Jahr Pause, baute an seinem Haus herum, und als er endlich ein Angebot bekam – denn man wusste im Westen ja um seine Fähigkeiten -, fing er bei Studio Hamburg wieder ganz von unten an. Hielt sich zurück, sah zu und lernte. Nur einmal hat er den Mund aufgemacht bei einem Meeting in Düsseldorf, wo alerte »Manager-Jungs, die keine Ahnung hatten von der DDR, den Osten beurteilten. Da platzte mir dann doch der Kragen, und ich habe denen gesagt, dass ihr nichts über uns wisst, na gut, aber euer BND hat offenbar auch nicht gewusst, was wir alle wussten, denn sonst wärt ihr besser informiert gewesen, als es so weit war. Und nun kommt ihr und wollt über uns urteilen, nee, is nicht.«
    1997 zog Urban, der bis dahin TV-Ateliers für den MDR, für Arte, für VOX ausgerüstet hatte, erneut in sein geliebtes Adlershof. »Und dann haben wir Licht für Licht auf dem Gelände, wo ja alles tot und dunkel war, wieder was aufgebaut im Laufe der Jahre.« Heute gilt das Studio Berlin Adlershof, eine hundertprozentige
Tochter von Studio Hamburg, als das modernste Fernsehdienstleistungszentrum Europas, hat die am besten ausgerüsteten Ü-Wagen, bietet 13 000 Quadratmeter Studioflächen, darunter ein mit 2400 Quadratmetern zu den größten Studios der Welt zählendes Atelier. Seit 2004 meldet der Geschäftsführer Hans-Peter Urban schwarze Zahlen vom einst tiefroten Gelände. Fünfhundert Mitarbeiter, die meisten Ostgewächse wie ihr Chef, liefern von der Animationstechnik bis zur Live-Übertragung des WM-Fußballendspiels und der sonntäglichen Anne-Will-Talkshow, von Preisverleihungen bis zu Telenovelas, von Maskenbildnern bis zu Schnittplätzen alles ab, was verlangt wird.
    Er freut sich »noch immer jeden Tag über die Einheit«, ohne aber die Vergangenheit zu verdrängen: »Natürlich war die Stasi eine Verbrecherorganisation, klar. Aber war jeder, der bei der Stasi und in der Partei war, ein Schwein? Nee. Und war jeder, der nicht bei der Stasi war und nicht in der Partei, kein Schwein? Nee.«
    Dietmar Enderlein stimmt ihm prinzipiell zu. Jeder habe Nein sagen können bei der Aufforderung, als IM für die Staatssicherheit zu arbeiten. In der SED war er natürlich. Als einer der drei höchsten Militärärzte der DDR musste Professor Doktor Dietmar Enderlein selbstverständlich Parteimitglied sein, aber da er an das System glaubte, war der Eintritt ein freudig vollzogener freiwilliger Akt. Am liebsten wäre er zwar nach einer Ausbildung zum Möbeltischler Innenarchitekt geworden, aber er relativiert im gleichen Atemzug und sagt: »Angesichts der baulichen Zustände im Osten hätte ich wohl wenig Möglichkeiten gehabt, mich in dem Beruf zu betätigen.«
    Nach der Promotion zum Facharzt für Sozialmedizin arbeitete er in der Militärmedizin, trug Uniform, hatte eine Dienstwaffe und – als die DDR unterging – ebenso wie die Genossen Herrmann oder Urban die Spitze der Karriereleiter erklommen. In seinem Fall: Kommandeur der Militärmedizinischen Sektion der Universität Greifswald. Stets wach genug, sich ein eigenes Bild von der Wirklichkeit zu machen, habe er wie viele andere gewusst, dass es wirtschaftlich gesehen vorbei war mit der DDR.
Allerdings habe man durchaus eine Chance gehabt, denn die »DDR-Wirtschaft als solche war ja nicht unfähig. Unfähig waren die, die ihr die Pläne vorschrieben. Und entscheidend für das, was später passierte, war der Zusammenbruch des Ostmarktes.«
    Als es dann so weit war mit dem Umbruch, den er konsequent »Wende« nennt, aber nicht nur, weil er an das System und dessen Reformfähigkeit glaubte, sondern wohl auch, weil es für ihn eine Wende zum besseren Leben bedeutete, wusste der Professor in Uniform, dass es mit seiner Karriere vorbei war. »Die Kameraden von der
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