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Wie funktioniert die Welt?

Wie funktioniert die Welt?

Titel: Wie funktioniert die Welt?
Autoren: John Brockman , Herausgegeben von John Brockman
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beschränke sich auf die Messfehler. Pearsons Begrifflichkeit ist nützlich, weil wir mit ihrer Hilfe abschätzen können, ob das, was wir sehen, unter dem Gesichtspunkt der Verteilung wahrscheinlich ist oder nicht. Diese Überlegung ist heute unser wichtigstes Hilfsmittel, wenn wir beurteilen wollen, ob wir eine Erklärung für zutreffend halten.
    So können wir beispielsweise quantitativ erfassen, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein Arzneimittel wirkt, oder wir können in der Hochenergiephysik bestimmte Teilchen nachweisen. Hat die Verteilung der Mittelwerte zwischen denen, die mit einem Medikament behandelt wurden, und der Kontrollgruppe ihren Mittelpunkt bei null? Wenn dafür eine große Wahrscheinlichkeit besteht, können wir die Wirksamkeit des Arzneimittels skeptisch betrachten. Sind potentielle Signale so weit von der Verteilung für bekannte Teilchen entfernt, dass sie zu einer anderen Verteilung gehören müssen und deshalb auf ein neues Teilchen schließen lassen? Der Nachweis des Higgs-Bosons setzt ein solches probabilistisches Verständnis für die Daten voraus, denn nur damit kann man Higgs-Signale von anderen Ereignissen unterscheiden. In allen diesen Fällen geht es im Kern darum, dass wir die Eigenschaften der zu Grunde liegenden Verteilung verstehen wollen, die das fragliche Phänomen hat entstehen lassen.
    Pearsons Leistung, den Zufall unmittelbar in die Wahrscheinlichkeitsverteilung einfließen zu lassen, versetzt uns in die Lage, Wahrscheinlichkeiten kritisch zu betrachten und unser Vertrauen in bestimmte Erklärungen quantitativ zu benennen. Wir können besser beurteilen, ob etwas, das wir sehen, eine besondere Bedeutung hat oder nicht, und damit können wir auch besser unsere »menschlichen Ziele« verfolgen.

George Church
Elegant = komplex
    Professor für Genetik, Harvard Medical School; Direktor, Personal Genome Project
    Viele würden genau das Gegenteil sagen: Eleganz = Einfachheit. Sie haben den (klassischen) Physikneid – Neid auf glatte, lineare Physik und köstlich beschreibende Ausdrücke mit vier Buchstaben wie
F = ma
. Aber die moderne Wissenschaft hat sich weiterentwickelt und sich auch das Komplexe zu eigen gemacht. Ockham bedient sich heute eines internetfähigen fraktalen E-Rasiermessers. Selbst wenn man die Mathematik von der seltsamen Realität nichtidealer Gase, Turbulenzen und nichtsphärischer Kühe befreit, bedarf es vieler Jahre und vieler Seiten Papier (manchmal auch des Computers), bis einfache Aussagen über ganze Zahlen wie Fermats
a
n +
b
n =
c
n bewiesen sind.
    Die Frage lautet nicht »Welches ist Ihre elegante Lieblingserklärung?«, sondern »Welches sollte Ihre elegante Lieblingserklärung sein?« Wir können nicht nur unseren Geist verändern, sondern auch das ganze Gewebe des menschlichen Wesens. Wenn wir konstruieren, nehmen wir Rekursionen vor – wir nähern uns ganz allmählich einem Zustand als überlebensfähige Naturkraft an. Wenn das so ist, was werden wir am Ende noch bewundern? Unser Evolutionsballast leistete unseren Vorfahren gute Dienste, könnte aber unsere Nachkommen umbringen. Angesichts moderner Lebensmittel wird unser sparsamer Stoffwechsel zum Nährboden einer Diabetesepidemie. Unsere Vorliebe für »gefräßige Algorithmen« führt zur Erschöpfung der Ressourcen. Unser allzu leichter Wechsel von der Rationalität zu blindem Vertrauen oder angstbasierten Entscheidungen lässt sich politisch so manipulieren, dass er einem übermäßigen Konsum Vorschub leistet. (Man denke nur an die Osterinsel, 163  Quadratkilometer der Verwüstung, vergrößert auf die Erdinsel mit ihren 510  Millionen Quadratkilometern.) Eines Tages werden wahrscheinlich »Menschen« geboren, bei denen »Bugfixes« nicht nur für Dutzende von heutigen Kognitionsfehlern vorgenommen wurden, sondern auch zugunsten des intuitiven Verständnisses für die seltsamen Karten der Quantenwelt und die Motivation zu ihrer Veränderung, für mehr als drei Dimensionen, superseltene Ereignisse, Weltwirtschaft und so weiter. Landwirtschaftliche und kulturelle Monokulturen sind unter Evolutionsgesichtspunkten bankrott. Die Evolution konzentrierte sich nur für kurze Zeit auf das Überleben in einer sterilen Welt der unwirtlichen Physik; seither stand immer das Leben in der Konkurrenz mit sich selbst im Mittelpunkt. Elegante Erklärungen sagen die Zukunft bis in größere Ferne besser voraus. Unsere Erklärungen werden uns helfen, Asteroiden und den Flammen der zum Roten Riesen
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