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Wie ein Fremder in der Nacht: Roman (German Edition)

Wie ein Fremder in der Nacht: Roman (German Edition)

Titel: Wie ein Fremder in der Nacht: Roman (German Edition)
Autoren: Joyce Hinnefeld
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sie Will the Circle Be Unbroken an. Kurz vor dem Schluss unterbrach Maze sie. »Wenn es dir nichts ausmacht, würde ich gern noch mehr Debussy hören.« Sie fragte sich, ob sie es richtig ausgesprochen hatte.
    Falls nicht, korrigierte Mary Elizabeth sie nicht. »Ist gut«, sagte sie, hob die Finger von den Tasten und dehnte sie ein paarmal in alle Richtungen. »Ich spiele ein paar Stücke aus Children’s Corner «, sagte sie. »Die habe ich geübt und geübt, als ich noch kleiner war, mit meiner Tante. Sie liebte Debussy. Er hat die Stücke für seine Tochter geschrieben. Das hier heißt Doctor Gradus ad Parnassum .«
    Während Mary Elizabeth spielte, lehnte Maze sich mit geschlossenen Augen auf ihrem Stuhl zurück und versuchte, sich das Leben eines Kindes in Paris vorzustellen. Doch je länger sie zuhörte, desto mehr dachte sie an ihre eigene Kindheit, an glückliche Sommertage am Bach, an den Takt des Webstuhls, wenn Georgia sie auf dem Schoß hielt, ihre Füße die Pedale traten und ihre großen, knotigen Hände Mazes eigene kleine führten.
    Als nach den langsamen, verklingenden Tönen am Ende von The Snow Is Dancing ein Wachmann kam, um das Gebäude abzuschließen, und sie aus dem Raum scheuchte, schlug Maze die Augen auf und sah auf die Uhr. Zu ihrem Schrecken war es schon elf. Am nächsten Tag würde der Unterricht beginnen. Dieses Mal war sie diejenige mit Tränen in den Augen.
    Hätte sie nur genauer hingesehen, dann hätte sie Maze nicht so falsch eingeschätzt, dachte Mary Elizabeth später oft, wenn sie sich jenen ersten Tag ins Gedächtnis rief. Außerdem hätte sie vielleicht keine Zeit damit verschwendet, das Intermezzo von Brahms zu spielen – ein Stück, das sie damals noch nicht beherrschte und offen gestanden nicht sonderlich mochte –, und sich stattdessen gleich die Werke vorgenommen, die sie liebte. Als sie an jenem ersten Abend zu spielen aufhörte und sich Maze zuwandte, beobachtete sie, wie die junge Frau einatmete und dann aus – tief und langsam. Da bemerkte sie auch ihre Sommersprossen. Vorher war sie zu abgelenkt von Mazes nicht zu bändigenden rotblonden Haaren gewesen, die noch lockiger waren als ihre eigenen, seit sie Jahre vorher angefangen hatte, sie zu glätten.
    Und natürlich hatte Maze genau das getan, was Mary Elizabeth von ihr erwartet hatte. Sie hatte nach Kirchenliedern gefragt oder einem Volkslied. Doch noch etwas anderes hatte sie gesagt: »Du brauchst mich nicht zu beeindrucken.« Sie hatte gewusst, was Mary Elizabeth vorhatte. Dann allerdings versuchte sie, es zurückzunehmen. Sie überschlug sich beinahe, um ungeschehen zu machen, was sie getan hatte. Sie konnte den Mund nicht halten. Aber irgendwie seltsamerweise nur bei ihr nicht, nur bei Mary Elizabeth nicht. Warum war das so?
    »Weshalb machst du das mit deinen Haaren?«, fragte Maze, als sie das erste Mal ins Zimmer kam und Mary Elizabeth einen glühend heißen Kamm an eine Strähne halten sah.
    »Warum machst du das nicht ?«, hätte sie schnippisch entgegnen können, unterließ es aber. Andere Mädchen hatten es schon bei Maze probiert. Dare Mills und Ferne Denney (die am Ende dieses ersten Jahres zur Maikönigin gekrönt werden würde), blonde, blauäugige Zimmergenossinnen zwei Türen weiter, hatten sie angeturtelt, als wäre sie ein Säugling, als sie ihr zum ersten Mal begegneten.
    »Oooooh! Jetzt seht euch diese Sommersprossen an! Und ich wünschte, du würdest mich mal an diese Locken lassen, Maze«, quiekte Ferne. »Deine Haare könnten richtig gut aussehen, wenn du sie nur in den Griff bekämest.«
    Dare musterte Maze von Kopf bis Fuß, wie nur Dare Mills, die aus Ohio stammte, es konnte, und ließ den Blick dann auf Mazes verschossener, altmodischer Baumwollbluse ruhen. »Grace«, sagte sie (sie weigerte sich, Maze bei einem Spitznamen zu nennen, den sie, wie sie erklärte, seltsam fand), »du könntest regelrecht hübsch sein, wenn du dir Mühe geben würdest.«
    Mazes Antwort? Ein Schütteln ihrer Locken, ein leises, gehauchtes kurzes Lachen und dann, ja, Schweigen. Sie sah Dare einfach nur an – mit einem Funkeln in den Augen, einer mehr als nur angedeuteten Herausforderung im nicht blinzelnden Blick. Eines Abends während ihrer ersten Woche im Damenwohnheim trat Mary Elizabeth am Ende des Flurs aus dem Badezimmer und entdeckte dort Maze, erneut von Ferne and Dare belagert. Zuerst nahm sie an, dass die beiden sie wieder wegen ihrer Haare bedrängten, die sie inzwischen zu einem dicken,
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