Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wie die Iren die Zivilisation retteten

Wie die Iren die Zivilisation retteten

Titel: Wie die Iren die Zivilisation retteten
Autoren: Thomas Cahill
Vom Netzwerk:
von Männern Geld an die
    Armee zu schicken. Im Jahre 409 gab der Kaiser, der sich mit dem
    Problem einer immer schlechter verteidigten Grenze konfrontiert sah, das Unmögliche bekannt: Fortan sollte es Sklaven erlaubt sein, zur Armee zu gehen, und für ihre Dienste sollten sie eine Prämie und ihre Freiheit erhalten. Von da an war es manchmal schwierig, die Römer von den Barbaren zu unterscheiden – zumindest an der Grenze.
    Zweifellos gibt es hier für den zeitgenössischen Leser einiges zu lernen: Die Veränderungen in der Bevölkerung durch den nicht
    wahrgenommenen Druck auf durchlässige Grenzen; die Herausbil-
    dung einer immer komplizierter und rigider werdenden Bürokratie,
    deren vornehmliches Ziel ihr eigenes Fortbestehen ist; die Ablehnung gegenüber dem Militär und die Dienstverweigerung seitens etablierter Familien sowie die gleichzeitige Öffnung der militärischen Ränge für unbedeutende Männer, die vorher keinerlei Zugang hatten; das
    Lippenbekenntnis zu längst untergegangenen Werten; der Glaube,
    immer noch das zu sein, was man einmal war; ein korruptes Steuersystem, das eine deutliche Spaltung der Bevölkerung in eine reiche und eine arme Schicht bewirkt, sowie die daraus unweigerlich resultieren-de Verzweiflung; die Erweiterung der exekutiven Macht auf Kosten
    der Legislative; ineffektive Gesetzgebung, verkündet mit großer
    Show; die moralische Berufung des Mannes an der Spitze, um jeden
    Preis für Ordnung zu sorgen, bei gleichzeitig wachsender Blindheit für die unbarmherzigen Schwierigkeiten des Alltagslebens – all das sind Themen, die uns in unserer Welt geläufig sind. Und sie sind
    keineswegs die gottgegebene Eigenart irgendeiner Partei oder politischen Meinung, auch wenn wir oft so tun, als wäre es so. Immerhin, der Imperator konnte seine ökonomischen Probleme nicht der Nach-welt aufbürden, indem er für eine langfristige Staatsverschuldung sorgte, denn so etwas wie Umlaufkapital gab es noch nicht. Die einzigen nennenswerten Reichtümer waren die Früchte der Erde.
    32
    Für uns mag es leicht sein zu sehen, wie instabil das Imperium
    Romanum in seinen letzten Tagen war – für die Römer selbst
    hingegen war das schwieriger. Rom, die Ewige Stadt, war
    uneinnehmbar geblieben, seit die Kelten aus Gallien sie 390 vor
    Christus überrannt hatten. In den folgenden acht Jahrhunderten war Rom aus eigener Kraft zur einzigen Supermacht der Welt geworden,
    nicht im mindesten gefährdet durch die gelegentlichen Kriege an
    fernen Grenzen. Die Gallier waren längst zivilisierte Römer
    geworden, und Rom bot diese Romanisierung allen an, die sie wollten
    – in einigen Fällen, wie bei den Juden, ob sie wollten oder nicht. Die meisten jedoch hätten alles dafür gegeben, Römer zu sein. Wie
    Theoderich, der König der Ostgoten, gern sagte: »Ein guter Gote will wie ein Römer sein; nur ein armer Römer würde sein wollen wie ein Gote.«
    Daher war es unfaßbar für die Bürger der Stadt Rom, als sie am En-de der ersten Dekade des fünften Jahrhunderts feststellen mußten, daß Alarich, der König der Westgoten, mit seiner gesamten Streitmacht vor ihren Toren stand. Er hätte ebensogut der König der
    Krausköpfe sein können oder irgendeines der anderen unbedeuten-
    den fremden Stämme, auf die zivilisierte Leute seit jeher herabgeblickt hatten. Es war absurd. Sie stellten zwei Gesandte ab, die die lästigen Verhandlungen abwickeln und ihn fortschicken sollten. Die Gesandten begannen mit leeren Drohungen: Jeder Angriff auf Rom sei sinnlos, denn man würde ihm mit der Übermacht unzähliger Krieger
    begegnen. Alarich war ein kluger Mann und auf seine rauhe Art
    gerecht. Außerdem besaß er Sinn für Humor.
    „Je dicker das Gras, desto leichter kann man es mähen«, antwortete er.
    Schnell erkannten die Gesandten, daß der Mann kein Dummkopf
    war. Nun gut, was also war der Preis für seinen Abzug? Alarich
    erklärte, seine Männer würden durch die Stadt ziehen und alles Gold, alles Silber und alles bewegliche Gut mitnehmen. Außerdem würden
    sie alle Barbaren-Sklaven zusammentrommeln und aus der Stadt
    bringen. Aber, protestierten die hysterischen Gesandten, was bleibt uns dann noch?
    Alarich überlegte einige Sekunden. »Euer Leben.«

    33
    In diesen Sekunden starb die römische Sicherheit, und eine neue
    Welt wurde empfangen.

    34

II. Was verlorenging
    Die Komplexität der klassischen Tradition

    So blieben die meisten von ihnen am Leben. Doch über kurz oder lang verloren sie oder ihre
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher