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Wie der Soldat das Grammofon repariert

Wie der Soldat das Grammofon repariert

Titel: Wie der Soldat das Grammofon repariert
Autoren: Sasa Stanisic
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Kopf, Staub über der Augenbraue, die Lippen auf die Wunde gepresst.
    Hallo, sage ich, Aleksandar.
    Sollen wir uns jetzt kennen lernen, so mit Händedruck und allem? Marija lächelt.
    Ich suche nach Taschentüchern für ihren Daumen, obwohl ich weiß, dass ich keine habe, denke: was für ein Grün!, denke: ich habe doch Listen gemacht. Marija schaltet die Musik aus, ja, ich zeige dir alles, sagt sie, aber erst essen wir, du isst doch mit uns? Gut.
    Das Schnitzel ist paniert, Marija und ihre Mutter beschreiben mir München. Marija sagt: Starnberger See, sagt: den FC Bayern mag man automatisch, sagt: natürlich gehe ich wieder zurück, ich mache hier nur fertig, sagt: ohne gute Musik kriege ich nichts hin. Die beiden haben acht Jahre in der Nähe von München gelebt, sie sind zurückgekommen, weil Marijas Großvater gestorben und die Großmutter krank geworden ist – sie sitzt mit uns am Tisch, wiegt sich hin und her und
lächelt, wenn ihr Name fällt. Ich erzähle, was mir an Essen gefällt, breche eine Lanze für das Ruhrgebiet, als Marija meint, der Pott sei uncharmant; wir reden über Dialekte und Mentalitäten, wir reden über Deutschland, nein, sage ich, also Sylt ist wirklich besser als sein Ruf. Marija fragt, ob ich schon mal eine schlafende Kuh umgeworfen habe, lacht und führt die Hände vor das Kinn, als wolle sie ihr Lachen auffangen.
    Marija, du darfst nicht mitmachen, sagt sie später am Abend, klar weiß ich das noch, Jungs!
    Auch der zweite Wein schmeckt nach Karamell, wir liegen auf gelben Strandliegen im Keller. Marija studiert Kunst in Belgrad, Bildhauerei im zweiten Jahr. Das, was hier entsteht, nennt sie ihre erste ernsthafte Arbeit, sie mache sich nicht zu viele Gedanken über Dinge, die größer oder abstrakter sind als Jahreszeiten, also modelliert sie Gipsplastiken von Menschen im Alltag und zieht ihnen Tennissocken an oder Ohrenschützer mit Hasenohren oder ein T-Shirt, auf dem für eine Arznei gegen Rheuma geworben wird. Die beiden größten Kellerräume hat sie mit Wandteppichen behangen, von der Decke hängen Spiralen aus Aluminium, Schleifen aus Plastik, Mosaike aus buntem Glas, Puppen aus Pappmaschee und in der Mitte des Raumes ein Landschaftsgemälde: Konzeptuelles, sagt Marija, und die Provence! Ein Stromaggregat sorgt für etwas Licht, die spröden, grauen Wände von damals kommen mir so unwirklich vor wie
    die Sperrholzplattentische an der Längswand,
    die besorgten Stimmen unserer Mütter,
    der Herd in der Ecke,
    Čika Aziz’ C-64, um den wir uns versammelten, während draußen auf die Stadt eingeprügelt wurde,
    die gelben Begonien unter dem Lüftungsgitter, wo heute Marija ihre Schaber, Messer, Feilen lagert. Aus den Sperrholzplatten hat sie Gießkästen gebaut, quadratische Gestelle verkleidet mit Furnier.
    Mein letzter Freund, sagt sie, war Tae-Kwan-Do-Vizemeister von Serbien. Wir waren zwölf Stunden zusammen. Dann
hat er mir erzählt, er sei Tae-Kwan-Do-Vizemeister von Serbien. Marija macht eine Pause. Geht es dir eigentlich gut, Aleksandar?
    Nicht immer, jetzt ja, sage ich und hebe mein Glas.
    Auf die Leute, sagt sie und trinkt. Hast du jemals von Edin gehört?
    Er ist in Spanien.
    Und?
    Ich sehe mir die Farbe des Weines sehr genau an. Johannisbeere. Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass er in Spanien ist oder war. Ich habe ihn mal angerufen, aber er war nicht da. Ich habe meine Nummer auf dem Anrufbeantworter hinterlassen.
    Und das war es? Aleks! Ich glaub das nicht! Ihr wart unzertrennlich! Ein einziges Mal angerufen …
    Ich habe dreihundert Mal Sarajevo angerufen, sage ich.
    Marija wartet, dass ich weiterrede. Du kommst gut zurecht?, frage ich. Es ist kälter geworden, der Wein ist fast leer, und ich möchte mich heute Abend an nichts mehr erinnern, was älter ist als drei Stunden.
    Ich ziehe Gipsmännchen Boxershorts an, sagt Marija und trinkt ihren Wein aus. Morgen zusammen frühstücken? Holst du mich ab?, fragt sie, schreibt sich meine Telefonnummer auf, streift das Kopftuch ab und nimmt zwei Stufen auf einmal.
    Ich schalte die Musik aus, das Aggregat summt. Ich atme tief ein. Gips. Ich setze mich auf die Treppe.
    Dort die Strandliegen.
    Dort die Wandteppiche.
    Dort die leeren Weinflaschen.
    Dort brät ein Pfarrer mit Tarzan-Schürze einen Fisch.
    Dort schmiert ein Junge im Tanga-Slip ein Brot.
    Dort schläft die graue Katze.
    Hier, ich. Spielregel: Treppenaufgang – Waffenruhe. Hier auf der Treppe neben mir saß Asija und weinte. Hier, ich, der
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