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Westfalenbraeu - Ostwestfalen-Krimi

Westfalenbraeu - Ostwestfalen-Krimi

Titel: Westfalenbraeu - Ostwestfalen-Krimi
Autoren: Jobst Schlennstedt
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genug. Wenigstens die sollte er wegräumen.
    Dicht an dicht standen die Gläubigen. Der Weihrauch hatte keine Chance, zu Boden zu sinken. Und immer noch wurde am Altar geräuchert, zu Ehren des Heiligen, der in seinem gold glänzenden Schrein nichts davon merkte. Lioba dagegen stieg der harzige Qualm in die Nase. Aber wenn ihr schlecht würde – umfallen konnte sie nicht. Eng an sie gedrückt stand neben ihr Carsten Stieglitz, Ratsherr der christlichen Union und ihr Chef, der in gefühlvollem Ton mitsang, als die Orgel das Liborilied anstimmte. Das dicke Muttermal neben seiner Nase zuckte im Takt.
    »Sei gegrüßet, o Libori, dessen Namen, Ehr und Glorie …«
    »Glori« , sangen die Leute, damit es sich reimte.
    Stieglitz legte seine Hand auf ihre Schulter. Mit der anderen reichte er ihr das Gesangbuch. Mitsingen sollte sie. Lioba zuckte mit den Schultern, lächelte ein wenig, obwohl ihr nicht danach zumute war, und schüttelte den Kopf. Er schaffte es, weiterzusingen und dabei zurückzulächeln.
    Die Eltern würden sie kreuzigen, wenn sie Lioba hier sähen. Nicht einmal den Besuch im Dom würden sie ihr verzeihen, geschweige denn, dass sie später mit den Kollegen noch die Kirmes besuchen wollte. Sündhafter Pomp und Versuchungen des Satans, würde ihre Mutter sagen. Lioba konnte es nicht mehr hören.
    Vom Gerede von der »heiligen Lioba«, das über sie im Büro umging, hatte sie auch genug. Weil sie es widerlegen wollte, war sie mitgekommen. Auch, um Spaß zu haben. Verbotenen Spaß. Aber ihren eigenen.
    Zu Hause hatte sie lügen müssen. Wieder fühlte sie im Rücken ein Frösteln, als stünde ein Dämon hinter ihr. Der Vater würde sie nicht nur zur Rede stellen, wenn herauskam, dass sie sich lasterhaften Vergnügungen hingegeben hatte.
    Verstohlen sah Lioba sich um. Nirgends tat sich eine Lücke auf. Sie stand eingekeilt zwischen ihren Kollegen, die sich in der Menge ebenfalls kaum rühren konnten. Tobias Neudeck auf ihrer anderen Seite bedachte den Chef mit finsteren Blicken. Lioba drehte die Schultern ein wenig, und Stieglitz nahm die Hand weg. Tobias war einer der Bauleiter in ihrer Firma, der jüngste und bestaussehende von allen.
    Bisher hatte Tobias Lioba kaum bemerkt, wenn er im Büro zu tun hatte. War er etwa eifersüchtig auf den Chef? Schon vor dem Dom hatte sich Tobias an ihre Seite gedrängt.
    »Und im Tod verlass uns nicht« , sangen die Leute, übertönt von Stieglitz’ inbrünstiger Stimme neben ihrem Ohr. Sie hatte in der Zeitung gelesen, dass der Erzbischof die Liedzeile zum Motto des diesjährigen Liborifests erhoben hatte. Der Bischof selbst vorne am Altar sah nicht so aus, als dächte er beim Feiern dauernd an sein Lebensende.
    Stieglitz reckte den runden Kopf noch ein wenig höher und sang: »… immerdar mit Gott vereint.« Es war der Schluss des Liedes. Lioba atmete auf.
    Von der Seite her schaute Stieglitz sie an, ein Lächeln im geröteten Gesicht, wodurch sich mit dem Mundwinkel auch das Muttermal in die Höhe schob. Das dunkle Mal störte den sympathischen Eindruck keineswegs, den Stieglitz’ Schokoladenseite erweckte. Sein Gesicht zerfiel in zwei völlig unterschiedliche Hälften, und Lioba hatte beide kennengelernt. In seinem schwarz umrandeten Brillenglas spiegelte sich das Licht der Kerzen, die auf dem Altar den goldenen Schrein beleuchteten.
    Vorn zogen unter jubilierenden Orgeltönen die Bischöfe zur feierlichen Vesper ein. Die zweispitzigen, rot gefütterten Mitren auf ihren Köpfen reckten sich zu dem Heiligen empor wie ein Nest voll Spatzenkinder mit hungrig aufgesperrten Hälsen.
    Der blaue Lichtstrahl war weitergewandert und färbte die blonden Locken des Mädchens vor Lioba grün. Der Glatzkopf sah dafür wieder ganz irdisch aus. Weit und breit war kein Dämon zu sehen.
    * * *
    Heute begann das Liborifest zu Ehren des Stadtheiligen, und wie die Stadt hatte sich auch der Himmel herausgeputzt. Auf Sankt Liborius konnten sich die Paderborner verlassen. Gestern noch waren bei Dortmund Sturm und Hagel niedergegangen, doch Paderborn war von dem Unwetter verschont geblieben. Jetzt strahlte die Sonne von einem tiefblauen Himmel. Diese Stadt war heilig.
    »Puh, stinkt das hier«, rief eine ältere Frau im farbenfrohen Kostüm mit einem Rucksack darüber. Therese Urban warf ihr einen verständnisvollen Blick zu. Dicke Weihrauchschwaden zogen über den Domplatz hinauf zum Markt. Die Katholiken übertrieben es mal wieder.
    Bald hatte Therese die Quelle der frommen Dünste
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