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Westfalenbraeu - Ostwestfalen-Krimi

Westfalenbraeu - Ostwestfalen-Krimi

Titel: Westfalenbraeu - Ostwestfalen-Krimi
Autoren: Jobst Schlennstedt
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Taille. Mit der anderen fasste er an ihr Kinn, das noch von eben schmerzte, und drehte ihr Gesicht zu sich. Schweißperlen standen ihm auf der Stirn. Lioba schloss die Augen.
    Vater seufzte und ließ ihr Kinn los. »Was soll ich denn tun?«, fragte er. »Deine Mutter liegt mir in den Ohren, dass ich dir die Sündhaftigkeit austreiben soll, aber du machst es mir nur schwer. Warum musst du immer so widerspenstig sein?«
    Sie hatte sich längst abgewöhnt, solche Fragen zu beantworten. Er würde doch wieder nur schreien und zuschlagen.
    Er ließ den Arm höher rutschen, legte ihn um ihre Schultern und zog sie an sich. Sie machte sich steif und lehnte sich weg von ihm.
    »Du warst schon immer mein kleines trotziges Mädchen«, sagte er. »Aber Mädchen müssen fügsam sein, das weißt du doch.« Wieder zog er sie zu sich. Sie duckte sich unter seinem Arm weg, stand auf und trat zum Fenster. Im Kirschbaum hüpften Drosseln umher und pickten in die Früchte.
    Wie fügsam sie sein sollte, das hatte sie als Kind oft genug erlebt. Nach dem Prügeln hatte Vater sie immer in den Arm genommen, wie heute. Doch früher hatte er sie gestreichelt und befummelt und ihr dabei erklärt, Eltern müssten ihre Kinder überall anfassen, damit die fleischlichen Dämonen vertrieben würden. Sie hatte sich angewöhnt, laut zu kreischen, wenn er die Hand unter ihren Rock schob, sodass die Nachbarn es hören konnten. Schon lange hatte er das nicht mehr riskiert.
    Lioba hatte versucht, Mutter zu erklären, was Vater mit ihr machte. Doch Mutter glaubte an Dämonen. »Das ist der Satan in dir, Kind«, hatte sie gesagt. »Der spiegelt dir das vor. Man hört es an seinem Kreischen, wenn er aus dir herausfährt.«
    Erst später war ihr der Gedanke gekommen, dass der Vater nur vorgab, ihr den Teufel auszutreiben, wenn er sie attackierte. In Wirklichkeit wollte er nur ihren Trotz brechen, sie sollte sein fügsames kleines Mädchen bleiben.
    »Deine Brüder sind doch auch nicht so«, sagte der Vater vom Bett her. »Sie gehorchen ihren Eltern und hören auf Pater Anselm.«
    Das glaubte nur er. Valentin und Richard taten heilig, wenn sie beobachtet wurden. Aber wenn die Erwachsenen nicht hinsahen, wurden sie fies. Sie schauten durchs Schlüsselloch ins Badezimmer und rissen die Tür auf, wenn die Mädchen nackt waren. Bei jeder Gelegenheit kniffen sie Elisabeth und zogen an ihren Haaren. Sie hielt sich deshalb möglichst oft in Mutters Nähe auf, was ihr den Ruf einer braven Tochter eingebracht hatte.
    Das Bett quietschte. Vater stand auf. Er stellte sich neben sie, doch als er die Vögel sah, riss er das Fenster auf und vertrieb sie mit lautem Händeklatschen. Die Drosseln flogen auf und ließen sich im Erdbeerbeet des Nachbarn nieder. Mit einem Lächeln schloss der Vater das Fenster. Seine Laune konnte von einem Moment zum anderen wechseln.
    »Komm, Lioba«, er wollte sie wieder in den Arm nehmen, »sei ein liebes Mädchen …«
    Sie drehte sich weg von ihm, und seine Hand rutschte ab.
    »Dann muss Pater Anselm mit dir reden«, sagte er. »Die Dämonen in dir sind völlig verstockt. Für solche Fälle gibt es in der Kirche Spezialisten. Bestimmt können sie dir helfen.«
    Keinesfalls würde Lioba mit Pater Anselm reden. Er würde doch wieder nur von seiner Maria anfangen und wie fügsam die sich in ihr Schicksal ergeben hätte. Doch die Gottesmutter war auch nicht geschlagen worden …
    Vater ging zur Tür, drehte sich aber noch einmal um. »Die Furcht des Herrn ist der Anfang der Weisheit, und die Erkenntnis des Heiligen ist Einsicht«, zitierte er. »Du hast viel Zeit, darüber nachzudenken.« Damit verließ er ihr Zimmer. Von außen drehte er den Schlüssel zweimal um und zog ihn ab.
    Hausarrest, wieder einmal, und als einzige Unterhaltung ein Bibelspruch. Tobias würde vergebens am Neptunbrunnen auf sie warten.
    Lioba warf sich bäuchlings auf ihr Bett und schlug mit den Fäusten auf ihr Kissen ein. Dann ließ sie ihren Tränen freien Lauf.
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