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Werbevoodoo

Titel: Werbevoodoo
Autoren: Ono Mothwurf
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respektlos wie zutreffend als Barockmuseum bezeichnete, war tatsächlich nicht so lebendig, wie es sich Weißenbacher wünschen würde. Zu tief wurzelten die Vorbehalte der alteingesessenen Brucker gegen die klösterliche Macht Fürstenfelds. Und die jungen Familien, die sich in Fürstenfeldbruck ansiedelten, hatten zum Glauben ohnehin keine Beziehung mehr.
    »Aber Sie glauben an Gott?«
    »Natürlich«, sagte Amalia sehr bestimmt. »Wir alle. Aber an unser eigene Gott.«
    Und dann trat sie an den Sarg und richtete ein paar Worte auf Kroatisch an die Trauergäste, die sich setzten. Auch Weißenbacher nahm Platz, auf einer für ihn neuen Seite, bei den Zuhörern.
    Amalia blieb vorn stehen und holte einen Zettel aus ihrer Handtasche. »Ich habe aufgeschrieben, ist Deutsch besser! Timo hat geholfen!«
    Und dann las sie vor:
    »›Liebe Familie, liebe Freunde, liebe Gäste,
    Selena wusste immer alles vorher. Sie hat es uns nicht immer gesagt, manchmal wollte sie uns auch vor ihrem Wissen schützen.
    Wahrscheinlich wusste sie schon lange, dass wir bald alle hier sein würden, um sie zu betrauern.
    Selena war für mich der Beweis, dass es einen Gott gibt, der unbegreiflich ist, ungerecht und gerecht zugleich. Es ist unbegreiflich, mit welchen Gaben er Selena beschenkt hat. Es ist ungerecht, dass er sie so schnell zu sich geholt hat. Und es ist gerecht, dass er ihren Mörder bestraft hat.
    Niemand war so mit anderen verbunden wie Selena. Warum sollte das mit ihrem Tod enden? Viele von uns glauben an das ewige Leben. Kennt nicht jeder das Gefühl, dass ihm manchmal ein Ahne über die Schulter schaut, dass ein lange Vergessener, ein lange Toter plötzlich wieder ganz nah ist? Ich fühle jeden Tag Selenas Nähe. Sie ist da, ich bin mir ganz sicher, ich kann sie nur nicht sehen und mit ihr sprechen.
    Selena war mitfühlend wie kein zweiter Mensch, den ich kenne. Das war eine Gnade, aber auch eine Bürde. Denn zu ihren eigenen Empfindungen kamen auch noch die Gefühle der Menschen, die sie liebte. Sie litt mit ihnen. Sie litt für sie. Vieles davon muss unerträglich gewesen sein, wir machen uns keine Vorstellung davon. So gesehen war der Tod auch eine Erlösung. Fühlen ohne zu leiden, das ist es, was wir Selena jetzt wünschen.
    Es ist ein Tag zum Weinen, weil Selena tot ist. Es ist ein Tag zum Feiern, weil sie für immer bei uns sein wird, um auf uns achtzugeben.‹«
    Amalia gab drei Herren im schwarzen Sakko ein Zeichen, einer führte die Violine ans Kinn, einer hob den Kontrabass und der dritte setzte die Klarinette an die Lippen. Weißenbacher befürchtete das Schlimmste. Doch was folgte, waren keine schluchzenden Trauerklänge, sondern quietschvergnügte Sinti-Musik.
    Es war ein fröhlicher Zug, der Selena da ans Grab geleitete. Der Kontrabassist saß auf einem kleinen Wägelchen, das von einem der Gäste gezogen wurde, dahinter marschierte eine schwarz gekleidete, fröhliche Truppe, alles sah mehr nach einem ungarischen Landausflug aus als nach einem Begräbnis in Bayern.
    Der Sarg wurde hinuntergelassen, jeder trat an die Grube und warf etwas hinein. Eine Blume, einen Hut, Marianne Thamm warf eine Zeichnung ihrer Kinder hinein, Weißenbacher sprach ein leises Gebet, Timo, mit Schal um den Hals, warf einen nach Maraschino duftenden Brief hinein. Danach, am Parkplatz, verabschiedete sich Weißenbacher. Amalia hatte nicht vor, ihn zum Leichenschmaus an ihren Hof einzuladen.
    »Es war schön in Ihrer Kirche«, sagte er zu ihr. »Ihr Gott ist auch mein Gott. Sie sind in meiner Gemeinde immer willkommen.«
    »Danke, Herr Pfarrer, dass Sie waren da. Und grüßen Sie bitte Thomas Wondrak. Sagen Sie ihm, Idee mit Pfauenauge gar nicht übel.«

     
    Auch Tom Thamm, der von den dreien mit Abstand den schönsten Tod erwischt hatte (seine beeindruckende Erektion kündete noch davon, als der Notarzt eintraf), war einem Schlaganfall erlegen. Seine Frau Marianne hatte es mit der Gelassenheit aufgenommen, die sie bereits Wondrak gegenüber an den Tag gelegt hatte.
    Deutlich weniger gelassen reagierte die Gerichtsmedizinerin Melanie Koller. Auch sie konnte nämlich nur einen natürlichen Tod feststellen, was sie ausgesprochen deprimierte: »Wir sind genau solche Luschen wie die deutschen Hausärzte, die jedes Jahr 2.400 Morde übersehen! Natürlicher Tod, dass ich nicht lache!«
    »Von übersehen kann eigentlich keine Rede sein«, beschwichtigte sie Wondrak matt, »wir sehen die Morde. Wir können sie nur nicht beweisen.«
    Melanie
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