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Werben

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Titel: Werben
Autoren: Eric Zimmermann
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weinen. Er fällt mir um den Hals: »Oh A-A-A-ndreas – ich möchte Dich jetzt schon vermissen. Pass auf Dich auf – komm mich besuchen, wann immer du willst. Ich möchte immer einen Kasten Bier dahaben. Ich lege dir auch je-je-jederzeit einen kostenlosen Verband an.«
    Ich gebe ihm die Hand und vergesse dabei zum allerersten Mal, seitdem ich ihn kenne, dass ihm ein paar Fingerglieder daran fehlen. Er lässt es sich nicht nehmen, seine Frau Natascha aus der gemeinsamen Wohnung herbeizurufen. Diese gibt mir – nachdem sie die Neuigkeiten hört – eine eilig herbeigeholte Box mit der polnischen Aufschrift Czekolada . Darauf drückt Natascha mir auf beide Wangen einen dicken Kuss und erst danach lassen die beiden mich endlich von dannen ziehen.
    Petra und Moss Man warten bereits ungeduldig im Erdgeschoss vor dem Firmengebäude, das an diesem späten Freitagnachmittag ansonsten schon völlig verlassen ist. Da Lea und Chris ihre Weihnachtsferien lieber alleine und gemeinsam in wärmeren Gefilden verbringen wollten, hatte Petra sich bereit erklärt, als willkommener Ersatz mit uns zu reisen.
    Besonders traurig über diesen Umstand war ich freilich nicht, da Leas Anwesenheit auf der Reise – trotz allem – seltsame Gefühle in mir hätte auslösen können.
    Schließlich machen wir uns zu dritt auf zum Bahnhof mit weiterem Kurs auf den Düsseldorfer Flughafen: London, letztes Ziel meiner Agentur-Good-Bye-Tour , wir kommen!

Sechsundzwanzigstes Kapitel

    Du ju spiek Inglisch

    London ist ein wahnsinniger Flecken Erde. Am späten Abend erreichen wir die wahre Hauptstadt Europas. Brüssel mag als offizieller EU-Sitz schön sein, aber kann gegen diese Stadt nicht anstinken.
    Als begeisterter Flieger ist der Landeanflug für mich der Knaller schlechthin – wir überqueren London mit einer nur von Straßenlaternen und hellen Fenstern beleuchteten Skyline. Jeder Klick auf den Auslöser meiner Spiegelreflexkamera könnte zu einem Meilenstein des Fotojournalismus werden.
    Der ehemalige Militärflughafen Stansted bietet unserer kleinen LTU-Maschine genug Platz, um landen zu können. Man hatte mir gesagt, dass der Airport kleiner sei als Heathrow, aber dann möchte ich Heathrow gar nicht erst sehen! Die schiere Größe der Landebahn ist bereits hier überwältigend.
    Als wir endlich aus dem Flieger steigen, tue ich es Karol Józef Wojtyla  – der besser unter seinem Künstlernamen Johannes Paul II. bekannt war – gleich. Dieser Boden muss geküsst werden! Alle mitreisenden Fluggäste gucken zwar blöde aus der Wäsche, aber zumindest meine beiden Freunde haben etwas zu lachen.
    Hätte man den englischen Ureinwohnern vor über sechzig Jahren gesagt, dass die Deutschen nicht nur mit V2-Raketen auf ihrer Insel landen würden, sondern auch mit normalen Charter-Maschinen, hätten sie einen bestimmt für verrückt erklärt. Aber diese Zeiten sind wunderbarerweise vorbei.
    Am ersten Abend ist allerdings nicht mehr viel zu erleben. Eine kleine Stadttour scheidet aus, da Petra flugkrank ist. Mit ein paar Guinness im Pub unserer Pension trinken Jan und ich auf die seit Monaten vorbereitete Reise. Wir sind guter Laune.
    Jan hat wenig Probleme mit der Akklimatisierung, da er sich schnell überall zuhause fühlt. Beim Stöbern in der englischen Kneipe findet er einen großen Kasten, der unter einem weißen Bettlaken schlummert.
    »Geil. Die haben sogar eine alte Wurlitzer !«, stellt er schnell fest.
    Der nette Wirt und seine Frau, welche die Pension in Schuss halten, haben nichts dagegen, dass wir das alte Schätzchen ausprobieren. Die Musikbox hat etwas von einer Zeitmaschine. Allerdings ist sie eindeutig besser als das Remake des gleichnamigen Filmklassikers von 1960.
    Mit Songs von Morrissey’s Band The Smith und anderen englischen Kultgruppen der 80er Jahre feiern wir bis spät in die Nacht.
    Die Nacht an sich wird freilich zur Tortur für mich. Mein Zimmer grenzt nämlich an das von Jan und seiner Freundin Petra. Seine Geschichten sind traurigerweise alle wahr. Moss Man wiehert im Bett wie Fury und gibt obendrein allerhand andere komische Laute von sich.
    Ich wünschte Petra wäre länger flugkrank gewesen, aber ihre Rekonvaleszenz scheint kurz bemessen. Denn als der dritte Höhepunkt in Jans Rolle des Hengsts bevorsteht, schreit auch sie wie ein abgestochenes Pferd beim Seifenmacher.
    Meine letzten Gedanken vor dem viel zu unruhigen Schlaf lassen mich an die zuhause vergessene Packung Desinfektionstücher denken.
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