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Wer wir sind

Wer wir sind

Titel: Wer wir sind
Autoren: S Friedrich
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SS-Obersturmbannführer befördert worden ist. Hannah Arendt wird davon bis zu ihrem Tod nichts erfahren.
    Der Riss, der durch die Welt läuft, trennt nicht nur Opfer von Tätern, Gute von Bösen, Unterstützer von Gegnern, Schwarz von Weiß. Er verläuft im Zickzack, in tausend Sprüngen, nicht als Sprung, sondern als ein Geflecht von Sprüngen. Aber Deutschland ist vom Rest der Welt nicht durch einen Sprung, sondern durch einen Abgrund getrennt.
    So empfindet es erschüttert Harald Poelchaus Lehrer und Freund Paulus Tillich. Etwas Satanisches ist in Deutschland geschehen. Die Kluft ist unermesslich, niemals mehr zu überbrücken. Die Welt ist in Deutschland untergegangen. Paulus Tillich findet die Welt nicht mehr, auch nicht in den Augen der Menschen.
    Etwas ist über sie hinweggezogen, das mich auf immer von ihnen trennt.
    Am 2. Juni, dem Pfingstsonntag 1963, weiht Paul Tillich die Dachlose Kirche von New Harmony ein. Er spricht über seine Entdeckung Robert Owens, als er nach dem 1. Weltkrieg in Deutschland die Geschichte des religiös begründeten Sozialismus studierte. Im Anschluss an den Gottesdienst zieht die Versammlung weiter zu der an die Kirche angrenzenden Parzelle. Hier hat Jane Owen die Anlage eines Parks vorgesehen, der Paul Tillichs Namen tragen soll. Tillich weiht an diesem Tag
    diesen Park einer neuen Wirklichkeit, die überwindet, was entfremdet ist, und wiedervereinigt, was zusammengehört, in der Macht der Geistlichen Gegenwart.
    Und wie ähnlich ist die Landschaft hier in Südindiana der im fernen Deutschland. Hannah Tillich lässt den Blick schweifen,während Paulus redet. Werden sie hierher zurückkehren, wenn Paulus’ Park vollendet ist?
    Am 12. Oktober 1965 wird Tillichs Abschlussvortrag über »Die Bedeutung der Religionsgeschichte für den Systematischen Theologen« von den Teilnehmern der Konferenz in Chicago mit einer stehenden Ovation gefeiert. Am nächsten Morgen gegen vier erleidet Paul Tillich einen Herzanfall. Er stirbt am Abend des 22. Oktober im Billing-Hospital der Universitätsklinik, kampflos und friedlich. Die Urne wird auf dem Friedhof von East Hampton auf Long Island beigesetzt, wo die Tillichs ein kleines Haus besitzen, als ländlichen Rückzugsort für den Mann, der über alles die großen Städte liebte. Aber ist dies der richtige Ort?
    Hannah Tillich geht durch den Park mit Paulus’ geliebten Bäumen. Sie sitzt an seinem Grab zwischen Heckenrosen. Hier hat er gelebt. Aber sollte er hier bestattet sein?
    Hannah Tillich gräbt die Urne ihres Mannes wieder aus. Am Pfingstsonntag 1966 bei Sonnenaufgang wird seine Asche der Erde New Harmonys übergeben. Ein großer Gedenkstein soll hier gesetzt werden. Ein Schüler Henry Moores wird ihn anfertigen: Ralph A. Beyer, ein deutscher Emigrant, der auch die Inschriften in der wiederhergestellten Kathedrale des von den Deutschen zerbombten Coventry gemeißelt hat. Vielleicht wird er in den Wochen der Arbeit manchmal auch ein wenig in Tillichs Schriften blättern.
    Die Weltgeschichte, die einer unbekannten Zukunft entgegenrollt, macht jeden Menschen zu etwas Vergangenem, und niemand erreicht das Zeitalter der Erfüllung, nach dem der Psalmist sich sehnt. Und so fragen wir wie alle Generationen vor uns: Ist Tragik mächtiger als Hoffnung? Besiegt die Vergangenheit die Zukunft?
    Es ist früh am Morgen.
    Sie sitzen am Strand und blicken über das Wasser. Der Himmel ist jetzt ganz klar: ein glänzender Morgenhimmel. Sie sprechen über Arvids neuesten Fund: New Harmony, eine kleine Siedlung in Indiana, wo der deutsche Radikalpietist Johann Georg Rapp und seine Anhänger nach einer neuen Form des Gemeinschaftslebens suchten, das auf den Prinzipien eines wahren Christentums außerhalb der Kirche basieren sollte. Sie versuchten das Reich Gottes vorauszunehmen: das Reich brüderlich-sozialer Versöhnung und vorbehaltloser Liebe. Zehn Jahre später hat Robert Owen die Siedlung gekauft. Auch ihm ging es um eine Erneuerung des Gemeinschaftslebens. Aber er wollte bei den Arbeits- und Produktionsbedingungen anfangen, und bei der Erziehung, die die Menschen von klein auf zur Vernunft bringen sollte.
    »Er hatte einen Sohn«, sagt Arvid. »Robert Dale Owen. Der hat seine Ideen fortgeführt.«
    »Ich glaube ganz fest, dass die Menschheit sich im Aufstieg befindet«, sagt Mildred. »Der Geist des Menschen kann alles schaffen. Seine Liebe wird die Welt immer mehr erfüllen und erleuchten, in jedem Bereich, und alles wird sich zum Besseren
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