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Wer weiter sehen will, braucht hoehere Schuhe

Titel: Wer weiter sehen will, braucht hoehere Schuhe
Autoren: Peta Mathias
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meinem Pariser Apartment ein riesiges Poster von einem Mädchen mit einem kompliziert aussehenden Arrangement aus Peitschen und Ketten prangte. Ihr Name war Madame Dominatrix. Und ich zählte zwei und zwei zusammen.
    Nach sorgfältiger Betrachtung der Modestrecken in der Vogue gelangte ich zu dem Schluss, dass frech , witzig und spontan für ein Revival der psychedelischen Muster (als wäre es bei der ersten Runde nicht schon schlimm genug gewesen), des Leopardendrucks (schon wieder) und Hot Pants (die nicht einmal ein Prozent der Bevölkerung tragen können) stand. Die Hot Pants trieben mir den Schweiß auf die Stirn. Wieso müssen einen Moderedakteurinnen eigentlich zur Verletzung jeglichen Anstands zwingen? Ich gebe zu, dass ich zu den Fashion Victims gehöre, trotzdem gibt es ein paar unumstößliche Regeln:
    1. Keine weißen Schuhe. Niemals. Es sei denn, Sie arbeiten als Krankenschwester oder treten vor den Traualtar.
    2. Keine durchsichtige Kleidung am Frühstückstisch, egal welche schmeichlerischen Lügen Ihnen Ihr Bettgenosse letzte Nacht ins Ohr gesäuselt hat.
    3. Kein Mini oder gar Mikro-Mini bei Boticelli-Oberschenkeln.
    4. Nicht aus dem Fitness-Club direkt ins Lieblingscafé. Fahrt um Himmels willen nach Hause, Leute, zieht die albernen Sportklamotten aus und geht unter die Dusche.
    Ich bin die erste Neuseeländerin, die trotz der eindringlichen Warnung meiner Mutter Rot und Pink am selben Tag getragen hat. Ich war schon rumänische Zigeunerin, lange bevor Vivienne Westwood eine »Story« daraus gemacht hat. Entgegen des klar formulierten moralischen Kodex trug ich einen roten Spitzenunterrock unter meiner weißen Schwesterntracht. Die wichtigste Moderegel, die mir und meinen Schwestern von Geburt an eingetrichtert worden war, lautete: Niemals etwas tragen, in dem man einen Unfall haben möchte. Es gab nur zwei Mädchen, die gegen diese eiserne Regeln verstießen: unsere Cousine, die auf dem Land lebte, und das Nachbarsmädchen, das Löcher in den Ohren und gefärbte Haare hatte. Allen anderen wohl erzogenen Mädchen wurde beigebracht, stets saubere, blütenweiße Unterhosen anzuziehen und Schwarz nur zu Begräbnissen zu tragen.
    Ich brauchte meine gesamte Kindheit, bis mir all diese ungeschriebenen Modegesetze in Fleisch und Blut übergegangen waren, und jetzt kam die Vogue daher und präsentierte mir ein völlig anderes Modekonzept, das mehr Fragen aufwarf, als es beantwortete. Durfte ich jetzt auf einmal doch um zehn Uhr morgens Strass tragen? Konnte ich Leopardenmuster allen Ernstes mit Paisley mixen? Wie sollte ich wissen, dass ich noch ich bin, wenn ich Hermès anstelle von Gaultier trage? Und was ist mit diesen elenden Hot Pants? Meine Freundin Trudy arbeitete als Model und trug alles, was kurz war, aber sie war schließlich einen Meter achtzig groß – und zwar nur die Beine, wohlgemerkt –, wohingegen ich es gerade mal auf einen guten Meter sechzig bringe und Knöchel habe, die nur eine Mutter lieben kann.
    Es gibt zwei Arten von Mode: Laufstegmode oder Haute Couture, die sich niemand außer einer Handvoll saudischer Prinzessinnen leisten kann, und Klamotten von der Stange, wie Sie und ich sie tragen. In den Neunzigern war die Kleidung der wahren Modekennerin darauf ausgerichtet, ein Statement abzugeben. Auffallen um jeden Preis, so lautete die Botschaft. Der Sexappeal in dieser Ära hatte etwas Hartes, Gewalttätiges, der Power-Business-Look war out – zum Glück – und machte dem Trash-Look Platz. Plötzlich kam niemand mehr an billig aussehenden Strings, Killer-Stilettos, Wildlederriemchen, schwarzem Leder, Sexshop-Styling, Bondage-Stil und Stiefeln im Fetischlook vorbei. Ob Sie es glauben oder nicht, aber Kunstpelz musste echtem Pelz weichen, und »Dominatrix« hielt wieder Einzug ins Vokabular der Moderedakteure. Sind wir so fantasielos, dass wir ständig wieder diese übertriebenen Schulterpolster, Leopardenmuster, Federn, Netzstrümpfe und Hot Pants aus dem Hut ziehen müssen? Wenigstens ist dieser Heroin-Chic mittlerweile out. Ich meine, wie viel lila Lidschatten kann man sich eigentlich unter die Lider schmieren, und haben Sie eine Ahnung, wie schädlich Bleichmittel für die Haare ist und wie hässlich dunkle Ansätze aussehen?
    Im neuen Jahrtausend lautet die Regel, dass es keine Regeln mehr gibt; stattdessen tragen Frauen, worauf sie Lust haben, alles ist in, und alles ist out. Niemand verfügt mehr über die kulturelle Autorität zu diktieren, was Mode ist und was nicht.
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