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Wer stiehlt schon Unterschenkel: und andere unglaubliche Kriminalgeschichten (German Edition)

Titel: Wer stiehlt schon Unterschenkel: und andere unglaubliche Kriminalgeschichten (German Edition)
Autoren: Gert Prokop
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glaube, Timothy hatte Angst, daß ich mich betrinken und dann Unsinn verzapfen könnte. Ich mußte unentwegt erzählen, dafür versprach er mir einen zweiten Abend, an dem ich ihn ausquetschen könne. Die Saturn-Expedition interessierte ihn nicht sonderlich, er fragte nach hunderttausend zum Teil alltäglichen, ja banalen Kleinigkeiten des Lebens bei uns.
    Wir trafen uns tatsächlich am nächsten Abend und danach jeden Tag, und ich war nicht böse, daß sich meine Abreise verschob, weil die Juni-Maschine sich verspätete. (Ich wurde allerdings unruhig, als es hieß, sie fiele vielleicht ganz aus, und ich befürchten mußte, bis zum September in der Alten Welt bleiben zu müssen, den ganzen, entsetzlichen Staatensommer hindurch mit seinen Smogwochen, Orkanen und Staubregen.) Ich schützte eine Stirnhöhlenreizung vor, um mich von allen Abendterminen drücken zu können, und ich bin sicher, meine Programmgestalter waren nicht traurig darüber.
    Während der abendlichen »rush-hour«, der Stunde des größten Verkehrsandrangs, in der es selbst in einem so exklusiven Haus wie dem »Nebraska« zu chaotischen Zuständen kommt, begab ich mich in Timothys Appartement und blieb bis zum Morgenansturm; ein Glück, daß ich im Kosmostraining gelernt hatte, mit Mikroschlaf zu leben.
    Timothy bewohnte ein Appartement der Preisstufe Super in der 827. Etage, die zwar noch unter den Wolken, aber über dem Smog lag und sogar ein Außenfenster besaß. Die für dortige Verhältnisse riesige Wohnung war mit niedrigen, Timothys Größe angepaßten Möbeln eingerichtet, einer interessanten Mischung aus modernstem Komfort und alten, mit Sicherheit echten, größtenteils hölzernen Möbeln; schon an der Wohnungstür hing neben dem Communicator-Taps eine alte Klingel, ein Löwenkopf aus Messing.
    Der größte Raum war das Arbeitszimmer, trotzdem wirkte es klein, denn es wurde fast ganz von Timothys Computer Napoleon eingenommen, ein recht veraltet anmutendes Gerät, das mir von Tag zu Tag mehr den Eindruck machte, als sei sein schmuckloses, schon stumpf gewordenes und verschrammtes Chassis eine Potemkinsche Fassade, hinter der sich ein ungewöhnlich leistungsfähiges Elektronengehirn verbarg. Einmal versprach sich Timothy und nannte Napoleon »frisiert«; ich erinnerte mich an einen Videostreifen, in dem ich diesen Ausdruck schon einmal gehört hatte, es ging dort um einen Fanclub, dessen Mitglieder Automobile nachgebaut, aber mit Hubjet ausgerüstet hatten.
    Das Bad war auch für unsere Verhältnisse verschwenderisch groß und perfekt eingerichtet. Außerdem leistete sich Timothy statt des sonst üblichen Restaumaten den Luxus einer Küche, und wenn sie auch nicht so gut ausgerüstet war wie die unserer Gourmetows, so will ich doch gerne glauben, daß Timothy Truckle, von einigen Bigbossen abgesehen, die beste Küche von Chicago besaß. Seine Sammlung von Kochbüchern aus allen Zeiten und Nationen war sehenswert, und das Essen, das er in diesen Tagen bereitete, hätte jedem Champion zur Ehre gereicht. Das Prunkstück des Appartements aber war ohne Zweifel ein kleiner, schmuckloser Raum, den Timothy Mausoleum nannte, ein schalltotes, abhörsicheres Gemach, in dem wir die meiste Zeit zubrachten.
    Ich habe nur wenige Wohnungen in den Staaten betreten dürfen, aber es ist offenkundig, daß Timothys Appartement einen Luxus darstellte, wie ihn sich nur die »oberen Zehntausend« leisten können. Das soll eine alte Redewendung sein, kann aber jetzt, da es zum allgemeinen Wunschtraum und Statussymbol geworden ist, oberhalb der Smogschicht zu leben, wörtlich genommen werden.
    Timothy bestritt, daß er zur Upperclass zähle, er müsse sich durch Arbeit ernähren, wenn auch durch gutbezahlte; er war der teuerste Detektiv der Staaten, wie ich von anderen erfuhr.
    Ich fragte ihn, wie er darauf gekommen sei, Detektiv zu werden.
    »Das war Daddys Idee«, antwortete er. Ich bin nicht sicher, ob er wirklich seinen Vater meinte, denn als ich ihn fragend ansah, grinste er.
    »Ich war sofort begeistert«, erklärte er, »ich erinnerte mich an den Helden eines Comic strips aus meiner Kindheit, einen Detektiv, der so klein war, daß er nie auffiel. Aber was glauben Sie, wie sehr man auffällt, wenn man so klein ist wie ich! Als Junge träumte ich davon, Astronaut zu werden, und weil schon damals abzusehen war, daß ich winzig bleiben würde, rechnete ich mir große Chancen aus. Doch bevor ich soweit war, setzte die Isolation ein, und wir hatten keine Raumfahrt
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