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Wer nichts riskiert, verpasst das Leben: Wie ich 365 Mal meine Angst überwand (German Edition)

Wer nichts riskiert, verpasst das Leben: Wie ich 365 Mal meine Angst überwand (German Edition)

Titel: Wer nichts riskiert, verpasst das Leben: Wie ich 365 Mal meine Angst überwand (German Edition)
Autoren: Noelle Hancock
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weiche Wellen, mit denen er jungenhaft wirkte, obwohl er schon über fünfzig war. Er hätte seine Praxis gegen eine kriminelle Karriere eintauschen sollen – mit seinem Aussehen hätte der Mann jeden täuschen können.
    Ich saß auf seiner schwammigen Ledercouch – ich saß immer, ich legte mich nie hin –, er auf seinem Stuhl gegenüber. Wie immer lümmelten wir beide auf unseren Sitzen, als würden wir nicht über meine Gefühle sprechen, sondern wären die Zuschauer.
    »Ich hab eben … früher hab ich einfach Sachen gemacht , verstehen Sie?«
    »Sachen gemacht?«, wiederholte er.
    »Ich probiere überhaupt keine neuen Sachen mehr aus. Je älter ich werde, umso weniger Herausforderungen stelle ich mich.«
    Er rieb sich nachdenklich das Kinn. »Könnten Sie sich eine Situation vorstellen, in der Ihre Angst Sie davon abgehalten hat, etwas zu tun?«
    »Na ja, ich weiß nicht, ob ich das jetzt Angst nennen würde –aber vor ein paar Jahren war ich mal mit Freunden in einer Karaoke-Bar, und ich schrieb mich für einen Song ein – ich glaube, das war ›I Touch Myself‹ von The Divinyls …«
    Dr. Bob hob eine Augenbraue.
    »War doch bloß Jux!«, verteidigte ich mich und fuhr fort: »Egal, also jedenfalls war direkt vor mir so ein Typ dran, der ›Don’t Stop Believing‹ von Journey gesungen hat, und zwar absolut hammermäßig. Er hatte sogar eine richtige Choreografie dazu, das Publikum flippte total aus. Hinterher klopfte ihm jeder auf die Schultern – und dann fing mein Song an, und ich war wie gelähmt. Ich wusste, dass wir einfach nur da waren, um uns zu amüsieren, aber ich konnte einfach nicht.«
    »Was haben Sie gemacht?«
    »Was glauben Sie wohl? Ich hab so getan, als wäre es nicht mein Titel, und hab mich verdrückt.«
    »Und was wäre passiert, wenn Sie auf die Bühne gegangen wären und eine Bauchlandung hingelegt hätten?«, wollte er wissen. »Was ist passiert, als Sie zum letzten Mal eine miese Leistung abgeliefert haben?«
    Ich blätterte geistig die letzten paar Jahre meines Lebens durch, aber ich fand nichts als Arbeit, ab und zu ein Abendessen mit Matt, hie und da einen Kinobesuch im Sommer. »Okay, letztes Jahr sind Matt und ich bowlen gegangen, und ich hab die Bowlingkugel zehnmal hintereinander in die Rinne befördert.«
    »Und was ist hinterher passiert?«
    »Jetzt geh ich eben nicht mehr bowlen!«, sagte ich gereizt. »Das hat nichts mit Angst zu tun. Es macht mir eben bloß keinen Spaß, Dinge zu tun, in denen ich schlecht bin.«
    »Vermeidung ist Angst«, sagte er sanft. »Wenn wir die Angst fürchten, vermeiden wir Situationen, die Angst auslösen.«
    »Aber wen kümmert es denn, dass ich nicht bowle oder Karaoke singe?«
    »Das Problem am Vermeidungsverhalten ist, dass es auch auf andere Bereiche Ihres Lebens übergreift. Sie haben zum Beispiel neue Bekanntschaften vermieden, Freizeitaktivitäten, Ihre Freunde …«
    »Aber das ist doch Unfug«, unterbrach ich ihn. »Ich hab doch keine Angst vor meinen Freunden.«
    Seine Stimme blieb geduldig. »Nein, aber wenn wir das Gefühl haben, dass wir unsere Welt nicht mehr unter Kontrolle haben, ziehen wir uns in die Illusion von Sicherheit zurück.«
    Ich wollte protestieren, doch dann machte ich den Mund wieder zu. So unangenehm es war, in dieser Beschreibung erkannte ich mich wieder.
    »Angst kann unser Leben lähmen«, fuhr er fort. »Wenn wir Angst haben, die falsche Entscheidung zu fällen, hält sie uns davon ab, überhaupt eine Entscheidung zu treffen.«
    Mir fiel mein Einjahresplan mit seiner aggressiven Leere wieder ein. Hatte Dr. Bob recht? Hatte die Angst langsam, aber sicher die Regie über mein Leben übernommen, ohne dass es mir auffiel? Ich erinnerte mich an all die Meetings, bei denen ich nichts gesagt hatte, weil ich Angst hatte, dass sich meine Ideen dumm anhören könnten. Oder wie ich damals die Gelegenheit ausgeschlagen hatte, eine Rede vor einem Ausschuss zu halten, weil ich auf Gedeih und Verderb nicht vor großen Mengen sprechen mag. Wie ich zu lange in schlechten Jobs ausgehalten hatte, weil es einfacher war, als zu kündigen. Auch kleine Dinge, zum Beispiel dass ich auf Flohmärkten immer den vollen Preis zahlte, weil mir das Feilschen mit den Verkäufern unangenehm war. Wie viele Chancen hatte ich vertan? Wie viel Lebenszeit hatte ich darauf verwendet, Leben zu vermeiden?
    »Um wieder auf das Zitat von Eleanor Roosevelt zurückzukommen«, sagte Dr. Bob. »Das könnte doch ein gutes Projekt für Sie sein. Sie
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