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Wer ist Martha? (German Edition)

Wer ist Martha? (German Edition)

Titel: Wer ist Martha? (German Edition)
Autoren: Marjana Gaponenko
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weiter der Schwan sich durch den Dreck schleppt, umso größer wird sein zerschmetterter Leib, bis er sich aufrichtet und ganz gerade steht – ein bleicher Page mit orientalischen Augen.
    »Anders wäre es, würden Sie mich aus Versehen Habibti nennen. Da müsste ich Sie in Ihrem eigenen Interesse darauf aufmerksam machen, dass es die weibliche Form von Habib ist. Aber auch Habibti würde mich nicht stören, denn ich weiß ja, Sie meinen mich.«
    »In meinem eigenen Interesse?«
    »Ja, denn Sie scheinen ein wissbegieriger Mensch zu sein.«
    »Wissen Sie, warum Schwalben ihre Nester am liebsten an die Dachbalken der Pferdeställe kleben?«
    »Weil sie den Stallgeruch mögen?«
    »Der Geruchssinn der Vögel ist nur gering entwickelt.«
    »Warum also?«
    »Vielleicht, weil die Pferde beruhigend auf diese rastlosen Vögel wirken, und weil es in einem Stall immer etwas zu fressen gibt, Insekten in Mengen. Mein Interesse galt schon immer solchen Formen von Beziehungen. Ob wissbegierig oder nicht. Den feingewobenen Teppich des Universumshabe ich betrachtet, Faden um Faden. Von Insekt zu Schwalbe zu Pferd fand ich Gewissheit, dass auch ich dazugehöre, gehören muss.« Lewadski hält inne und horcht seinen eigenen Gedanken nach. »Ganz gleich wie einsam man sich mitunter vorkommt, ganz gleich.« Aus Habibs rosigem Mund ragen zwei Eisschollen. Mit verschränkten Armen schaukelt er auf seinem Platz hin und her.
    »Ein schönes Lied ist unbezahlbar. Bei mir zu Hause singt man gerne und ohne Anlass. Hier zeigt man auf dich mit dem Finger, wenn es dir einfällt, in der Öffentlichkeit zu singen.«
    »Wir sollten uns ein Beispiel an den Vögeln nehmen! Ein kluges Selbstgespräch, wie es die Vögel gerne singend führen, kann auch uns Menschen unmöglich schaden. Ganz im Gegenteil. Wissen Sie, Habib, wenn ich etwas von Herzen bereue, dann, dass ich nicht singe.«
    »Warum singen Sie denn nicht?«
    »Nicht dass ich mich für den Gesang nicht begeistern konnte. Aber ich hatte immer eine Mutlosigkeit in mir, die es mir verbat. Dass ich innerlich immer gesungen habe, ist offensichtlich. Doch es ist etwas anderes, wenn man seine eigene Seele lautstark hinausdenkt. Vögel tun es, Habib, es ist ihre Art zu monologisieren.«
    »Tun sie das?«
    »Darauf können Sie Gift nehmen. Die Vögel geben ihre Seelen arglos dem Wind und aller Welt preis, während sie singen. Ihr Denken ist im Gefüge der Welt verankert.«
    »Was ist mit unserem Denken?«
    »Vor nicht langer Zeit war ich nahe dran zu glauben, der Mensch verheimlicht seine Gedanken der Welt. Er lügt, auch wenn er es ehrlich meint. Er lügt, denn er ist aus dem Rahmen der Welt gefallen, vom Lebensbaum ... Noch vor wenigen Tagen war ich davon überzeugt, der Mensch sei deswegen schlechter als das Tier. Nach den wenigen zufälligen Bekanntschaften unter dem Dach dieses Hauses, aber was ist schon zufällig, Habib, dämmerte mir, dass ich mich geirrt habe. Wir sind nicht schlechter und im Grunde nicht viel anders als die Vögel. Ein Teil derselben belebten Welt.«
    Lewadski atmet vorsichtig aus. »Ich rede nicht von den Äußerlichkeiten, Habib. Den Vögeln mit ihren hohlen Knochen und dem geringen Gewicht konnten wir zu keinem Zeitpunkt der Entstehungsgeschichte das Wasser reichen. Denken Sie nur, der Quetzalcoatlus, eines der größten fliegenden Reptilien der Kreidezeit, hatte eine Flügelspannweite von 15 Metern und wog so viel wie Sie, was für ein erstaunliches Experiment der Natur. Dagegen ist die Krone der Schöpfung eine Lachnummer.« Habib lacht.
    »Meinen Sie uns?« Wie ein Staubkorn gerät das Bild des Schwans in Lewadskis Auge. Er reibt es sich in langsamen kreisenden Bewegungen. Der Schwan steht aufrecht mit dem Holzdegenschnabel und dem winzigen Pagen auf dem Arm. Heilige Maria!
    »Überlegen Sie sich, Habib, wie viele Millionen Jahre später wir auf den luftgefüllten Reifen kamen, dabei hätten wir nur genauer beobachten, die Vögel nicht nur essen, sondern auch sezieren sollen. Die Federn nicht als Schmuck auf den Kopf kleben, sondern genauer unter die Lupe nehmen sollen. Oder das Vogelverhalten, wie sie fressen und jagen, leiben und leben. Etwas mehr Muße und Geduld, und ich wette, wir wären nicht so elend vom Baum des Lebens gestürzt.«
    »Dafür haben wir den Sturz kompensiert mit so tollen Erfindungen wie Telefon, Kühlschrank und Automobil«, triumphiert Habib. Lewadski winkt ab.
    »Was aus Verzweiflung und gekränkter Ehre entsteht, kannnicht gut sein. Ein
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