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Wer ist eigentlich Paul?

Wer ist eigentlich Paul?

Titel: Wer ist eigentlich Paul?
Autoren: Anette Göttlicher
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rebellierten und für (oder eben gegen) alles Mögliche auf die Straße gingen. Ich fand meine Eltern eigentlich immer ziemlich okay, ging sogar einigermaßen gern zur Schule und hatte schlicht zu wenig Interesse an Politik, um das Staatshandeln gut oder schlecht zu finden. Gemütliche Meinungslosigkeit, das war meine Art zu leben. Heute nenne ich das Gelassenheit. Man kann sich nicht jeden Schuh anziehen, sonst kommt man aus den Problemen gar nicht mehr heraus. Das Leben einer jungen Single-Frau in der Großstadt stellt genügend hochkomplexe Anforderungen.
    Geld verdienen, um in Neuhausen wohnen zu können statt im Hasenbergl oder in Großdingharting. Freundschaften schließen und pflegen, um gemeinsam der Torschlusspanik frönen zu können und sich mit lustigen und langen Nächten in Münchens Kneipen und Bars davon abzulenken, dass man eigentlich keine Ahnung hat, wie man leben will, und um zu vertuschen, dass man heimlich die Freundin aus Kindertagen beneidet, die seit Jahren glücklich verheiratet ist und zwei kleine Kinder hat. Sport treiben und gut aussehen, um in der Metropole mit der arrogantesten Schickeria Deutschlands die Gesichts- und Körperkontrolle der Türsteher zu bestehen. Und nicht zuletzt: allmählich mal einen Mann auftreiben, der nicht schwul, im Vorruhestand, Dauerkiffer, mittelloser Aktionskünstler, gnadenlos langweilig, Psychopath, vorbestraft, verheiratet oder durch eine lange und emotional schwierige Beziehung vorbelastet ist. Er muss nicht schön sein, er muss nicht reich sein, er muss nicht berühmt sein. Er sollte ganz normal sein – aber bitte mit dem gewissen Etwas. Wenn ich ihn ansehe, möchte ich mir vorstellen können, wie er mich so küsst, dass ich ihn erst nach einer langen Nacht voll rauschhaftem Sex wieder gehen lasse. Und ich möchte ihn vor meinem inneren Auge sehen, wie er unserekleine blondbezopfte Tochter Franziska an der Hand hält, während sie auf einem grün und weiß gestrichenen Geländer balanciert. Und wenn es nicht in jeder zweitklassigen amerikanischen Liebeskomödie das Hauptkriterium wäre, würde ich noch schreiben: Er soll mich zum Lachen bringen. Er soll Humor haben, nicht Witze auswendig können. Ich will keinen dieser Männer, die ihr BM W-Cabrio mit einem Augenzwinkern als «Bayerischen Mist-Wagen» bezeichnen und RT L-Sketche lustig finden.
     
    Womit ich wieder beim Thema wäre. Ich bin sicher, dass Paul so ein Mann ist, wie ich ihn mir vorstelle. Ich weiß es. Er ist wunderbar. Paul hat nur einen kleinen, aber entscheidenden Fehler. Es ist jetzt über ein halbes Jahr her, dass er mich zum ersten Mal geküsst hat, und wir sind immer noch nicht offiziell zusammen. Oder sind wir es längst, und ich habe es nur noch nicht mitbekommen? Nein. Wir haben lediglich eine äußerst leidenschaftliche, aber ebenso sporadische Affäre. Er hat keine andere, das ist es nicht. Als ich in seiner Wohnung war, habe ich ganz genau hingesehen. Keine Spur von Frau. Kein weibliches Deo, keine Bürste mit langen Haaren darin, kein Lippenstift, kein BH, nichts. Okay, er könnte die verdächtigen Utensilien auch weggeräumt haben. Aber ich glaube, so vorausdenkend handeln nur Frauen.
    Es ist auch nicht so, dass er mich nicht liebt oder nur fürs Bett will. Es sei denn, er ist ein Oscar-verdächtig guter Schauspieler. Aber ich glaube zu spüren, dass Paul genauso verliebt in mich ist wie ich in ihn.
     
    Was ist es also? Vielleicht bin ich ja auch einfach nicht mehr up to date. Meine letzte Beziehungsanbahnung – daraus wurden dann die sechs Jahre mit Max – liegt über acht Jahre zurück, damals war ich noch nicht mal 20.   In diesem Alter ist die Sache ziemlich einfach. Man ist zwar schon zu erwachsen, um «miteinanderzu gehen», aber trotzdem ist nach dem ersten Kuss alles klar. Man ist fest zusammen, und es bedarf des ordentlichen Schlussmachens, um solch eine Beziehung wieder zu lösen. Heute ist das alles wesentlich komplizierter. Ich beobachte das auch in meinem Freundeskreis. Die harmlose Frage «Bist du jetzt eigentlich mit XY zusammen?» kann eine abendfüllende Diskussion auslösen. Küssen alleine reicht nicht mehr als Startschuss zu einer Beziehung, in der man «mein Freund» zu einem Mann sagt und er einen seinen Eltern vorstellt. Sex sagt auch nichts über den Status der Zweierkiste aus. Da gibt es ONS (One-Night-Stands), MNS (Many-Nights-Stands), Affären, Dreiecksbeziehungen, offene Beziehungen, lockere Verhältnisse, ja sogar gute Freunde, die ab und zu
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