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Wer ins kalte Wasser springt, muss sich warm anziehen

Wer ins kalte Wasser springt, muss sich warm anziehen

Titel: Wer ins kalte Wasser springt, muss sich warm anziehen
Autoren: Julia Baehr , Christian Boehm
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Wir haben eigentlich nur ein Thema: Francesco.
    »Er gefällt dir doch, Marie«, spricht Verena das Offensichtliche aus.
    »Natürlich gefällt er mir«, seufzt Marie. »Aber er lebt in Stockholm.«
    »Meine Mutter würde dir das komplette Familiensilber schenken, wenn du ihn zurück nach München locken würdest«, werfe ich ein.
    »Und seine Kronjuwelen bekämst du gratis dazu«, meint Anna trocken.
    »Mach es ihm bloß nicht zu einfach«, rate ich Marie. »Da ist Francesco leider ganz Italiener: Nur die Frauen, die ihn zappeln lassen, interessieren ihn länger als zwei Wochen.«
    »Aber ich finde solche Regeln albern.«
    »Ich ja auch. Aber so ist er nun mal.«
    »Na komm, Marie«, spricht ihr Anna Mut zu. »Du hast es doch perfekt drauf, Typen zappeln zu lassen.«
    »Nur die, die mir nicht gefallen.«
    »Marie, reden wir nicht drumherum: Nimm ihn einfach nicht mit nach Hause nach der Party. Kriegst du das hin?«
    »Klar!« Marie reckt sich. »Heute Nacht kann ich beim Ausziehen sowieso keine Gesellschaft gebrauchen.«
    »Warum das?«
    »Habt ihr nicht gesehen, wie schmal meine Taille in diesem Kleid ist?«
    »Doch. Sieht toll aus. Und?«
    »Ich trage eine Bauch-weg-Hose.«
    Spätestens beim dritten Gang beneide ich Marie um diese Idee. Als zweite Vorspeise gibt es Pasta, als Hauptgang zarte Saltimbocca mit Gemüse. Mark und ich sitzen an einem langen, weiß eingedeckten Tisch zwischen unseren Trauzeugen mit Blick auf die Gäste und den wunderschönen Saal des alten Wasserwerks. In der hinteren Ecke stehen ein paar über hundert Jahre alte schmiedeeiserne Gerätschaften, die in Verbindung mit den Backsteinmauern den Charme vergangener Zeiten heraufbeschwören. Die Blumen in Rostrot, Gelb und Altrosa vermitteln genau die herbstliche Stimmung, die ich mir vorgestellt hatte. Auf den Tischen stehen goldglänzende Dekokugeln und weiße Kerzen in Messingleuchtern.
    »Mark?«, flüstere ich meinem Mann zu.
    »Luisa?«
    »Wir müssen meiner Mutter irgendwas unglaublich Tolles schenken, um uns zu bedanken. Sie hat mich bei der Organisation komplett ersetzt. Eigentlich stammt nur das Farbkonzept von mir«, bekenne ich kleinlaut.
    »Klar. Sie bekommt so viele Enkelkinder, wie sie möchte.«
    »Haha! Versprich ihr das bloß nicht, sonst will sie zwanzig.«
    Anette unterbricht uns, indem sie zu unserer aller Überraschung ohne Vorwarnung plötzlich aufsteht und mit einem Löffel an ihr Glas klopft. Sie schwankt kein bisschen im Stehen, aber wahrscheinlich ist sie auch die Trinkfesteste von allen. Ich befürchte trotzdem Schlimmes, was den Inhalt ihrer Rede betrifft. O Gott. Sie wird doch nicht …
    »Lieber Mark, liebe Luisa«, setzt sie an. »Mütter sind ja immer ein wenig rührselig auf Hochzeiten. Deshalb will ich versuchen, mich kurz zu fassen und während der nächsten fünf Minuten nicht öfter als unbedingt nötig in Tränen auszubrechen.« Ein paar Gäste lachen, was sie mit huldvollem Nicken entgegennimmt. Anette ist eben Schauspielerin, eine echte Rampensau. Und für heute scheint sie ein ziemlich gutes Drehbuch zu haben. Ich entspanne mich ein wenig.
    »Es gibt Momente im Leben, die sind so bedeutsam, dass einem die Vergangenheit unglaublich kurz vorkommt. Heute stehe ich bei der Hochzeit meines einzigen Sohnes. Ich habe ihm jahrelang Essen gekocht, das er nicht mochte, ihn regelmäßig viel zu früh von Geburtstagsfeiern abgeholt, an der inszenierten Unordnung in seinem Kinderzimmer herumgemeckert und ihm vor seinen Freunden den Kopf getätschelt, was ihn als Teenager fast in den Wahnsinn getrieben hätte.«
    »Allerdings!«, ruft Mark dazwischen.
    Anette grinst nur. »Aber heute, Mark, bist du ein erwachsener Mann. Und obwohl du ob dieser schlimmen Erlebnisse sicher traumatisiert bist«, an dieser Stelle zwinkert sie ihm zu, »bist du so gut geraten, wie es sich eine Mutter nur wünschen kann. Du hast nicht nur den richtigen Beruf für dich gefunden, sondern auch die richtige Frau. Du hast ein gutes Herz und Humor, und das sind Dinge, die man seinen Kindern nicht anerziehen kann. Dafür muss man einfach Glück haben. Deshalb gratuliere ich heute nicht nur dir zu deinem Entschluss, mit Luisa alt werden zu wollen. Ich gratuliere auch mir selbst, weil ich so stolz auf dich bin. Und ich gratuliere dir, lieber Richard.« Sie wendet sich zu Marks Vater am Nebentisch und hebt ihr Glas. »Wir haben nicht vieles richtig gemacht als Ehepaar. Aber heute feiern wir das, was uns gemeinsam am besten gelungen ist. Ich danke dir
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