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Wer hat Angst vorm bösen Mann?

Wer hat Angst vorm bösen Mann?

Titel: Wer hat Angst vorm bösen Mann?
Autoren: Borwin Bandelow
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unglaubliche Fähigkeit, andere Menschen zu faszinieren. Solche Menschen schaffen es, ihre Umwelt zu spalten – sie nehmen die eine Gruppe für sich, die andere gegen sich ein. Sie sorgen auf geheimnisvolle Weise dafür, dass sich die beiden Parteien streiten, um davon zu profitieren.
    Wie kann man sich erklären, dass 700  Intellektuelle an einer Unterschriftensammlung für die Freilassung des überführten Mörders Unterweger teilnehmen? Wie kommt es, dass die achtzehnjährige Schülerin Bianca Mrak mit einem als Serienkiller Verdächtigten nach Florida flieht und als Go-go-Girl arbeiten will, um seine Flucht zu finanzieren? Warum zeigen Menschen Mitgefühl mit einem Monstrum, das aus Sicht der Opfer und Hinterbliebenen eher die Strafen der Hölle verdient hatte, als in roten Ledersesseln in Talkshows hofiert zu werden? Kaum ein Mensch schaffte es so genial, die Öffentlichkeit zu faszinieren und zu betören, wie Unterweger, der Popstar unter den Psychopathen. Seine Bücher hätten nicht den Hauch einer Chance gehabt, wäre da nicht das Dunkle gewesen, das die Öffentlichkeit offensichtlich behexte.
     
    Um mehr die Hintergründe dieses Phänomens zu verstehen, sprach ich in Wien mit einer Zeitzeugin: Astrid Wagner, die jetzt in einer der besten Gegenden der Stadt eine Strafverteidigerpraxis hat. Sie hatte Unterweger 1992 als Juristin in Graz im Gefängnis besucht und selbst ein Buch geschrieben:
Mörder Dichter Frauenheld
, in dem sie anzweifelt, dass er wirklich der Täter war. [6] Nach ihrer Ansicht habe die Justiz einen überführten Täter für viele ungelöste Fälle vorweisen wollen, und die Presse habe ihn vorverurteilt, um mit der Sex-and-Crime-Story Kasse zu machen.
    «Ja», räumt Astrid Wagner heute ein, «ich war damals etwas fanatisiert. Ich war eine junge Juristin, und er verkörperte dieses Klischee, dass er das Opfer ist, der Arme, um den man sich kümmern muss. Und weil die kriminalistische Arbeit zu wünschen übrig ließ und es einige Ungereimtheiten bei den Ermittlungen gab, hatte mich das in der Rolle der Rächerin bestärkt. Ich war achtundzwanzig, war gerade mit dem Studium fertig geworden und hatte schon viel von Unterweger gehört. Er war ja eine bekannte Figur, durch die Presse und einen Film, der über ihn gemacht worden war. Nachdem man ihn in den USA verhaftet hatte, kam er ins Gefängnis von Graz, einen Häuserblock von meiner Wohnung entfernt. Und da mein Ausbildungsrichter für den Fall Unterweger zuständig war, erschien mir das fast wie ein Omen. In den Zeitungen war er bereits schuldig gesprochen, und er hatte im Gefängnis einen Selbstmordversuch gemacht. Da habe ich mich veranlasst gesehen, ihm einen Brief zu schreiben, in dem Sinne: ‹Halten Sie durch, nicht alle haben Sie vorverurteilt.›»
    «Und dann haben Sie ihn ja ziemlich häufig getroffen?» Meine Frage ist mehr eine Feststellung.
    «Ja, das stimmt», entgegnet die Juristin. «Als Anwältin weiß ich, dass jemand, der im Gefängnis sitzt, vollkommen hilflos ist und jemanden braucht, der ihm beisteht. Im Rückblick muss ich sagen, dass er mich instrumentalisiert und eingespannt hat: ‹Gell, kommst wieder und bringst mir das, rufst mir den an, machst das, machst dies …› und so weiter.»
    «Und hat er mit Ihnen geflirtet, kann man das sagen?»
    «Ja, auf sehr feine Art, es waren da diese subtilen Bemerkungen, diese kleinen dezenten Anspielungen. Das hat mir als Frau gefallen. Dabei wirkte er eher armselig auf mich. In den Medien war er viel lässiger rübergekommen. Jetzt saß er da, grau und bleich, mit dieser Häf’nblässe, das Leiberl zerrissen; er sah zerlumpt und vernachlässigt aus.»
    «Vielleicht hat er damit aber auch Ihr Mitleid erregt?»
    «Ja, natürlich, das hat er», antwortet Astrid Wagner. «Es gab da eine Fangemeinde, einen Kreis von Frauen, die sich seiner angenommen haben. Eine Schauspielerin zum Beispiel, eine ganz tolle Frau, die hat dieses Zarte in ihm gesehen und das unschuldige arme Opfer. Es wird aber auch Frauen gegeben haben, die es faszinierend fanden, dass er Prostituierte ermordet hat. Aber ich glaube, dass das die Minderheit war. Die meisten haben ihr Helfersyndrom ausgelebt, inklusive meiner Person; man fühlt sich dann schon wichtig. Viele von diesen Tätern haben Frauen um sich, die sich ihrer annehmen. Ich bin überzeugt, dass sogar der Josef Fritzl, das ‹Kellermonster› von Amstetten, der seine Tochter vierundzwanzig Jahre lang unterirdisch hielt und sieben Kinder mit
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