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Wenn Licht die Nacht durchdringt: (Teil 2) (German Edition)

Wenn Licht die Nacht durchdringt: (Teil 2) (German Edition)

Titel: Wenn Licht die Nacht durchdringt: (Teil 2) (German Edition)
Autoren: Sandra Andrea Huber
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ging er mit gezielten und selbstbewussten Schritten auf den Rollstuhl zu und schob ihn vor sich her, als wäre es seine Aufgabe. Jetzt hieß es: Daumen drücken.
    Mit selbstsicherer Miene rollte er den Stuhl durch den Flur, klopfte an die erste Zimmertür und trat ein. Eindeutig nicht die Frau, die er suchte. Er entschuldigte sich und versuchte es im nächsten Zimmer.
    Zu alt. Männlich. Zu alt. Eindeutig nicht die Frau, die er suchte.
Immer wieder murmelte er ein entschuldigendes „falsches Zimmer“ und verdrückte sich hastig wieder nach draußen, ehe ihn jemand fragen konnte, zu wem er eigentlich wollte. Nach vierzehn Fehltritten und einem inzwischen extrem angespannten Nervenkostüm, erreichte er ein Zimmer, in dem eine junge Frau lag, die schlief. Über ihre Wange spannte sich ein großes, weißes Pflaster.
    Er verspürte den Impuls sich dem Fuß des Bettes zu nähern und die Krankenakte aus der Halterung zu ziehen. Langsam und leise gab er diesem Impuls nach und überflog den kurzen Bericht.
    Name: unbekannt.
    Alter: unbekannt; geschätzt zwischen 22 und 26.
    Anamnese: Unterkühlung, Schnittwunden auf Körper und Wange, Prellungen, blaue Flecken, Kopfverletzung.
    Diagnose: Gedächtnisverlust (möglicherweise aufgrund eines Schädel-Hirn-Traumas); Schock?; Posttraumatische Belastungsstörung?.
    „Jackpot“, ging es ihm durch den Kopf. Er steckte die Akte leise zurück und besah sich die Frau genauer. Wie sie so dalag, wirkte sie sehr zerbrechlich. Sie kam ihm etwas jünger vor, als er selbst war – etwa so alt wie Marah. Ihr Haar war hellbraun und reichte ihr glatt bis über die Schultern.
    Seine Augen folgten dem Schlauch, der aus ihrem rechten Unterarm in einen Infusionsbeutel führte. Wunderbar, er würde sie davon losmachen müssen. Bei dieser Vorstellung überkam ihn ein unbehagliches Schütteln. Nein, er wollte nicht daran herumfummeln. Außerdem: Womöglich war die Infusion wichtig. Er würde den Beutel einfach mitnehmen.
    Nachdem er nochmals einen tiefen Atemzug getan hatte, räusperte er sich vernehmlich.

***
     
     
    Gwen zuckte zusammen, schlug die Augen auf und sah einen blondhaarigen, leicht lockigen Mann vor sich. Unwillkürlich sog sie nach Luft – dann erkannte sie, dass er die weiße Krankenhauskluft trug. „Nur ein Mitarbeiter“, formte sich der beruhigende Gedanke in ihrem Kopf.
    „Alles in Ordnung. Ich bin hier, um Sie für eine Untersuchung abzuholen.“
    Sie stutzte, der Anflug von Skepsis stieg in ihr auf. „Eine Untersuchung? Was für eine Untersuchung? Geht das nicht auch hier im Zimmer?“
    „Nein, wir … ich bringe Sie zum Röntgen. Wie Sie sehen“, er machte eine lächelnde Geste mit den Armen, „ist hier kein Gerät, mit dem ich Sie röntgen könnte – wenn ich Sie röntgen würde. Das macht natürlich … ihr Arzt. Er hat einen, äh … Scan vorgeschlagen, da Sie sich doch an nichts erinnern können.“
    Sie biss sich auf die Unterlippe. Sie war nicht vollständig von der Wahrheit seiner Worte überzeugt. Irgendetwas an diesem Pfleger kam ihr seltsam vor.
    Er griff nach dem Infusionsbeutel, löste ihn aus der Halterung und reichte ihn ihr. „Hier, halten Sie den bitte. Können Sie sich aufsetzen? Und aufstehen? Oder soll ich Sie in den Stuhl heben?“
    Immer noch hatte sie ein merkwürdiges Gefühl. „Warum soll ich den Beutel halten? Warum rollen Sie nicht einfach den Ständer neben dem Stuhl her?“
    Er sah aus, als würde er mit Mühe etwas herunterschlucken. „Ja, da haben Sie recht.“ Er griff den Beutel und mühte sich ab, ihn wieder in die Halterung zu bekommen. „In Ordnung – soll ich Ihnen jetzt helfen oder nicht?“
    „Ich glaube, ich schaffe es alleine“, erwiderte sie gedehnt. Langsam setzte sie sich auf und legte die Beine über die Bettkante. Ihr ganzer Körper fühlte sich ungemein schwer und ungelenk an.
    Der Pfleger schob den Stuhl näher an sie heran. „Hier …“
    Sie stand auf und schwankte leicht unter der Last ihres Gewichts, doch der Mann griff ihr unter die Arme und half ihr in den Rollstuhl. „Danke …“, hauchte sie.
    „Kein Thema.“
    Sie hob den Kopf, die Zimmertür im Blickfeld – und fasste Nikolaj ins Auge. Er stand im Türrahmen, die Hände vor der Brust verschränkt und immer noch diesen verschlossenen, abweisenden und harten Ausdruck im Gesicht tragend. Auf Haar und Mantel glänzten kleine Wasserperlen. Reflexartig nahm sie einen tiefen Atemzug. Wieso war er noch immer hier? Wollte er sie mit sich nehmen, sobald man
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