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Wenn du lügst

Wenn du lügst

Titel: Wenn du lügst
Autoren: Anna Salter
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mich sehr, dass Sie auch nur darum ersuchen, mit mir oder irgendeinem anderen Mitarbeiter in einem Raum allein gelassen zu werden. Die Gefängnisleitung würde niemals zustimmen, selbst wenn ich es täte.«
    Einen Moment lang erwiderte er nichts, und ich starrte ihn einfach nur an, noch immer verblüfft, dass er sich
überhaupt die Mühe gemacht hatte, darum zu bitten. Dann plötzlich begriff ich. Wenn ich einwilligte, würde das einen Keil zwischen mich und die Behörden treiben. Ich würde argumentieren müssen, dass er nicht so gefährlich sei, wie sie annahmen, was sich sehr wahrscheinlich in dem Gutachten niederschlagen würde. Eine kognitive Dissonanz würde mich daran hindern, der Gefängnisleitung gegenüber zu behaupten, dass er nicht gefährlich sei, und vor Gericht das Gegenteil zu sagen. Es war clever, das musste ich ihm lassen.
    »Menschen können sich ändern«, sagte Collins schließlich. »Ich weiß, dass ich mich geändert habe. Ich war damals auf Speed. Ich war zutiefst verdorben. Ich hatte noch nicht zu Jesus gefunden.«
    »Nein.«
    Er sah mich einfach nur an, aber ich fügte nichts mehr hinzu. Ich wusste aus Erfahrung, dass ihm jedes weitere Wort Gründe zum Argumentieren liefern würde. Einfach Nein zu sagen, funktionierte wesentlich besser. Es ist ein gutes, solides Wort. Ich verstehe nicht, warum nicht mehr Menschen es benutzen.
    »Ich weiß nicht, ob ich diese Unterredung unter diesen Umständen führen kann«, sagte er. »Sie erwarten von mir, über sehr private Dinge zu sprechen, während jemand anders zuhört.«
    »Das ist Ihre Entscheidung, Mr Collins«, erwiderte ich gelassen. »Wenn wir diese Befragung durchführen, halten wir uns an die Gefängnisregeln. Die Entscheidung liegt nun bei Ihnen.« Ich hatte gelernt, niemals zu versuchen, Sexualstraftäter zu irgendetwas zu überreden. Es war ein Hebel, den sie einsetzen konnten, um einen
zu manipulieren. Es lag allein bei Collins, ob dieses Gespräch stattfinden würde oder nicht. Ich hatte an dieser Entscheidung keinen Anteil.
    Seufzend nahm er den Stift auf und unterschrieb die Einverständniserklärung, die ich vor ihn gelegt hatte.
    »In Ordnung«, sagte er dann. »Aber ich habe noch eine letzte Frage. Haben Sie zu Gott gefunden? Glauben Sie an Jesus Christus, unseren Erlöser? Ich habe das Recht zu wissen, mit wem ich spreche, Dr. Copen. Weil ich nämlich nicht glaube, dass irgendjemand, der nicht zu Jesus gefunden hat, verstehen kann, was mit mir passiert ist. Sind Sie vom Blut des Lammes gereinigt worden? Denn wenn Sie es sind, dann wissen Sie, wie sehr sich Menschen verändern können. Dann haben Sie die Liebe erfahren, die Sie wie ein Baby in Seinen Armen wiegt.«
    Ich wollte gerade zu einer Entgegnung ansetzen, als Collins plötzlich von seinem Stuhl hochschnellte und sich über den Tisch lehnte, bis sein Gesicht nur noch Zentimeter von meinem entfernt war. »Haben Sie sie erfahren, Breeze?«, fragte er leise, »diese Liebe, die Sie wie ein Baby in Seinen Armen wiegt?« Die Stimme schien wie Finger unter meine Kleider zu schlüpfen, und seine Augen waren so dunkel und glänzend wie Murmeln. Er verströmte den Geruch von überreifen Früchten mit einem Schuss Testosteron. Seine Unterarme lagen auf dem Tisch vor mir, und ich konnte die braunen Haare sehen, die sich wie Borsten aufgestellt hatten. Der Wachmann stand unverzüglich auf und sagte: »Pflanz deinen Hintern wieder auf den Stuhl, Daryl.«
    Mit einem befriedigten Lächeln ließ Collins sich zurücksinken. In dieser Sekunde wusste ich, dass ich den
echten Daryl Collins gesehen hatte und er den restlichen Tag nichts mehr tun könnte, das mir mehr verraten würde. Er würde niemals ein erstklassiger Täuscher sein, auch wenn ihm das vermutlich nicht bewusst war. Die besten Blender vermitteln einem sofort das Gefühl von Kameradschaft. Gegen sie auszusagen, bewirkt, dass man sich schuldig fühlt, so als ließe man einen Freund im Stich. Bei Collins war die Gier, Angst in den Augen seines Gegenübers aufflackern zu sehen, zu deutlich ausgeprägt. Letztes Endes war er nichts weiter als ein gewöhnlicher Krimineller. Er würde immer wieder gewalttätig werden, selbst wenn er es nicht musste, selbst wenn er, wie dieses Mal, dafür bestraft werden würde. Er hatte einfach zu viel Spaß daran.
    Auch ich lehnte mich wieder zurück, mein Gesicht so ausdruckslos wie möglich. Ich verschränkte die Arme und musterte ihn. Ich sagte kein Wort. Alles, was ich sagen konnte, würde ihm einen
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