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Wenn der Christbaum brennt - und andere heitere Weihnachtskatastrophen

Wenn der Christbaum brennt - und andere heitere Weihnachtskatastrophen

Titel: Wenn der Christbaum brennt - und andere heitere Weihnachtskatastrophen
Autoren: Brigitte Sinhuber (Hrsg)
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langsam, tropfenweise aufgießen!«
    Es war wie in der Kinderzeit, wenn einen die Erwachsenen hinausschickten, um sich ungeniert aussprechen zu können. »Hol ein Glas kaltes Wasser, aber wirklich kalt, laß es lang abrinnen.«
    Kaum waren wir allein, sagte Friedrich-Wilhelm: »Ich weiß, daß Sie uns gesehen haben, obwohl Sie taten, als hätten Sie uns nicht bemerkt.«
    Was hätte ich darauf antworten sollen? Ich schwieg. Das Engelchen brauchte ungefähr eine Viertelstunde, um den Mocca aufzugießen. Währenddessen berichtete mir der falsche Wilhelm, daß er die einzige, größte und letzte Liebe seines Lebens gefunden und sich entschlossen habe, dem Engelchen die Wahrheit zu sagen. Und zwar heute. »Deshalb habe ich dafür gesorgt, daß wir zu dritt sind. Ich bin ein Mensch mit Zartgefühl. Es wird ein harter Schlag für Engelchen sein, sie soll in dieser bitteren Stunde ihre beste Freundin zur Seite haben!«
    Ich stand auf und wollte sofort weggehen, aber in diesem Moment kam das Engelchen mit dem Tablett ins Zimmer. Ich setzte mich wieder.
    Um es kurz zu machen, ich war noch nie bei einer Hinrichtung gewesen. Nun wurde ich Zeuge, wie er dem Engelchen »als Ehrenmann die Wahrheit« sagte. »Mein Entschluß ist unabänderlich, Engelchen. Aber du kannst beruhigt sein, ich werde selbstverständlich die Schuld auf mich nehmen und, was das Finanzielle betrifft, großzügig sein. Wir müssen uns nur über die juristischen Details einigen.« Das Engelchen hielt sich wie ein Held. Sie wurde bleich bis in die Lippen, das war alles. Dann sagte sie: »Wer? Wer ist es?«
    Als er den Namen genannt hatte, flüsterte das Engelchen: »Du bist verrückt geworden – die geht doch noch aufs Gymnasium!«
    »Sie wird im Frühling siebzehn«, sagte der Ehrenmann. Und dann fiel der Todesstreich: »Ich kann es nicht ändern, ich habe eine Schwäche für Jugend!«
    Das Engelchen bewies, daß sie jeder Situation gewachsen war, wenn es ums Ganze ging: sie bekam die silberne Moccakanne zu fassen und warf sie ihm, zitternd vor Wut, an den Kopf. Die kantige Schnauze traf ihn scharf über der Augenbraue, schwarzer Kaffeesud und hellrotes Blut tropften ihm übers Gesicht.
    Ich glaube, ihre Eltern hätten sich gefreut.
    Die Scheidung ging verhältnismäßig schnell über die Bühne. Madame Herma, die kleine Schauspielerin und ich scharten uns um das trauernde Engelchen und sprachen ihr Mut zu. Aber wenn wir irgend etwas von »Zukunft« erwähnten, lachte das Engelchen hysterisch, sie war sechsundzwanzig, verblüht, passee, erledigt.
    Sie hatte einen Alterskomplex bekommen. Sie trug nur noch Dunkelgrau oder Lila, ging auch nicht mehr zum Friseur – für wen, wozu? – ihre Augen waren glanzlos geworden, und ihr Gesicht verwelkte. Es war zum Weinen. Ihr einziges Gesprächsthema war Friedrich-Wilhelm.
    Sogar der lyrische Dichter, ein jahrelang getreuer Freund, begann ihr auszuweichen.
    »Siehst du!« sagte sie triumphierend zu mir, »auch dem bin ich zu alt geworden!«
    Wir redeten ihr zu, einen Psychoanalytiker aufzusuchen. »Kann er mich jünger machen?« fragte das Engelchen spitz.
    Herma meinte, die Zeit heilt alle Wunden. Aber bei Engelchen heilte nichts. Sie ging durch eine Cognac-Phase, eine Schlafmittel-Phase, sie ernährte sich von Keksen und Tee. Nur ihrer gesunden Jugend verdankte sie, daß sie das alles überstand. Dann kam eine neue Variante. Sie rief mich mitten in der Nacht an und sagte: »Entweder du kommst zu mir, oder ich spring aus dem Fenster.« Ich hatte ein neues Buch angefangen, und von meinem Privatleben will ich gar nicht reden. Was hätte ich tun sollen?
    Schließlich hatten wir ja früher einmal miteinander Sandküchelchen gebacken.
    Ich opferte meine Nächte. Aber auch die Tage gehörten kaum noch mir. Das Erstaunlichste war, daß das Engelchen in ihrem Schmerz viel weniger Schlaf brauchte als ich. Meistens kam ich erst im Morgengrauen heim, und wenn Nino – mein Privatleben – um sechs Uhr anrief, war ich vollständig verstört vor Müdigkeit.
    Sobald ich den Hörer wieder hingelegt hatte, meldete sich Angela, allerdings ohne Fenstersprungdrohung und auch bloß, um lang und klagend ins Telefon zu weinen.
    Im Oktober war mein Manuskript auf Seite sechzig. Als der November zu Ende ging, war es auf Seite dreiundsechzig. Nino wurde jetzt rabiat und machte mir eine fürchterliche Szene: »Also schön, Männerfreundschaften lasse ich mir gefallen. Aber ihr Frauen, ihr lebt wohl alle auf einem anderen Stern!«
    »Genau!«
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