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Wenn das Glück dich erwählt

Wenn das Glück dich erwählt

Titel: Wenn das Glück dich erwählt
Autoren: Linda Lael Miller
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trat zurück und hielt Evangeline auf Armeslänge von sich ab, umfasste dann mit beiden Händen ihre Schultern und schaute ihr prüfend in die Augen.
    »Wir sollten jetzt besser aufhören«, sagte er. Dann zog er seine Jacke an, ging hinaus und blieb so lange fort, dass Evangeline, die unruhig zu Bett gegangen war und sich von einer Seite auf die andere wälzte, ihn nicht einmal hereinkommen hörte. Am nächsten Morgen war er wieder wortkarg und distanziert wie eh und je. Ein Fremder, ein flüchtiger Bekannter, der Geschäftspartner ihres zukünftigen Ehemannes, der unerschütterliche Wächter ihrer Tugend.
    Evangeline war wütend und zugleich zutiefst erleichtert. Sie war nicht sicher, ob sie den nötigen Abstand hätte wahren können, wenn die Situation ausschließlich ihrer Kontrolle unterlegen hätte. Obwohl sie ihr ganzes Leben lang eine anständige und tugendhafte Frau gewesen war, entwickelte sie die Gefühle und Gedanken eines Flittchens in Bezug auf diesen Mann, und es schmerzte sie, all diese Fantasien nicht ausleben zu können.
    Sie beschäftigte sich mit ihren Plänen für einen Garten - sie hatte einige ungeöffnete Samenpäckchen in einem der Speisekammerregale gefunden - und war ziemlich sicher, dass sie aufgehen würden, wenn sie sie aussäte. Zu diesem Zweck hatte sie seit einiger Zeit die Eierschalenhälften aufgehoben, die sie jetzt mit Erde füllte und als winzige Blumentöpfe nutzte, um Rüben, Mais und Spinat zu ziehen. Sie hatte auch im Lauf des Winters die Kartoffelaugen aufgehoben, und sie konnten eingepflanzt werden, sobald nicht mehr Gefahr bestand, dass es noch einmal frieren würde.
    Das Unkraut und die Steine aus einem Stück Erde zu entfernen war harte, anstrengende Arbeit, aber Evangeline dachte, dass sie vielleicht wahnsinnig geworden wäre, wenn sie diese Aufgabe nicht gehabt hätte, um ihre Zeit und ihre Gedanken zu beschäftigen. Sie hackte, jätete und pflanzte tagelang und lehnte Scullys Angebote, ihr zu helfen, ab. Sie wollte, brauchte diese Beschäftigung für sich allein, obwohl sie Abigail erlaubte, daran teilzunehmen. Denn Abigail würde schließlich irgendwann einen eigenen Haushalt führen und musste deshalb lernen, wie man Gemüse zog. Außerdem war es ihr ein Trost, das Kind bei sich zu haben, und auch das Kätzchen, das inzwischen fast erwachsen war und ihr nicht mehr von den Fersen wich.
    Abigails unablässiges Geplauder war ein wahrer Segen in jenen Tagen, in denen die Erde sich nach und nach erwärmte und Evangelines Herz im Gegensatz immer kälter und immer spröder wurde. Denn all ihren Bemühungen zum Trotz war ihr natürlich jederzeit bewusst, dass Scully bald fortgehen würde, und es verging kein Moment, weder tagsüber noch in der Nacht, in dem ihr diese bedrückende Realität entgangen wäre.
    Eines Tages, gegen Mitte April etwa, verkündete Scully plötzlich, dass es Zeit wurde, nach Springwater zu fahren. Obwohl der Tag, an dem das Fest stattfinden sollte, nicht mehr fern war, war er noch nicht gekommen, aber Evangeline brauchte gar nicht zu fragen, warum Scully schon jetzt nach Springwater aufbrechen wollte. Sie wusste Bescheid. Sie fragte sich höchstens, woher er wusste, dass Big Johns Ankunft zu erwarten war, war aber zu betroffen und zu ängstlich, um zu fragen.
    Es gab einen alten Wagen in der Scheune, der ebenso Big John gehörte wie das Haus und die Hälfte des Lands, das sie umgab -oder wie sie selbst -, und Scully machte den Wagen viel zu schnell aufbruchbereit. Bevor Evangeline wusste, wie ihr geschah, hatte er zwei seiner jetzt zahmen Mustangstuten vor den Wagen gespannt, die anderen Tiere gefüttert und versorgt, und forderte Evangeline und Abigail auf, einzusteigen. Er hatte den Hengst hinter dem Wagen angebunden, für den Fall, dass er ihn brauchen sollte, und wollte später zurückreiten, um nach dem Vieh zu sehen.
    Der Morgen war frisch und klar und sonnig, und Evangeline hätte sich bestimmt gefreut über den Ausflug, wenn sie sich nicht wie eine französische Aristokratin auf dem Weg zur Guillotine vorgekommen wäre. Sie war sich der Anwesenheit ihrer Tochter, die mit ihrem kleinen Bündel Kleider, ihrem Holzpferd und Hortense auf der Ladefläche des Wagens hockte, sehr stark bewusst, aber noch viel mehr Scullys, der neben ihr auf dem harten Kutschbock saß.
    Trotz ihrer beiderseitigen Bemühungen, jeglichen Kontakt zu vermeiden, berührten sich die Außenseiten ihrer Schenkel unablässig, und das löste eine bittersüße Qual in
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