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Weniger sind mehr

Titel: Weniger sind mehr
Autoren: Karl-Otto Hondrich
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eine ethische Pflicht zur Elternschaft einzufordern, wie es, wenn auch in vorsichtiger Formulierung, der Demograf Herwig Birg tut, 5 heißt, die sozialen Elementarprozesse, die zwar naturnah sind und bleiben, von denen zeitgenössische Menschen sich aber durch die soziokulturelle Entwicklung doch ein Stück weit befreit haben, wieder an die Kandare nehmen zu wollen. Das ist vergebens. Nicht nur die Selbststeuerung der Individuen spricht dagegen, sondern auch die Eigenlogik der sozialen Systeme. Nicht zuletzt auch die Arbeitsteilung auf dem Gebiet der Reproduktion, die sich als Bewegung und Gegenbewegung von Stufe zu Stufe entwickelt. Aus der Berufs- und häuslichen Arbeit, die zunächst zwischen Männern einerseits und Frauen andererseits geteilt wird und deren geschlechtliche Unterschiede noch stärker hervortreten lässt, wird in einem nächsten Schritt die partnerschaftliche Arbeitsgemeinschaft, in der Männer und Frauen ohne Unterschied sowohl Berufsarbeit wie auch Familienarbeit leisten. Dies gilt zumindest dem partnerschaftlichen Anspruch nach. Aber ein Teil |262| der Männer und Frauen kann oder will diese partnerschaftliche Arbeitsgemeinschaft nicht erfüllen. Sie rutschen, trotz guten Vorsatzes, zurück in die überkommene Familienform oder verzichten ganz auf Kinder. So kommt es schließlich zu einer dritten Stufe der Arbeitsteilung zwischen ledigen und kinderlosen Paaren einerseits und Eltern andererseits.
    Alle diese Stufen der Arbeitsteilung verharren in einem sozialen Rahmen, der sich als nationaler oder neuerdings europäischer fest in unser Denken eingegraben hat. Eine vierte Stufe der Arbeitsteilung im transnationalen, ja weltweiten Rahmen wird deshalb gern übersehen. Es handelt sich um die Arbeitsteilung nicht zwischen kinderarmen und kinderreichen Familien, sondern um die zwischen ganzen Gesellschaften, also zwischen der westlichen und dem größten Teil der übrigen Welt. Auch wenn in den afrikanischen, südamerikanischen und asiatischen Gesellschaften die Fertilitätsraten noch stärker zurückgehen als in den westlichen und auch wenn weltweit die durchschnittliche Kinderzahl in den letzten 30 Jahren von 4,8 auf heute 2,8 Kinder pro Frau gefallen ist, so wird die nichtwestliche Welt gegenüber der westlichen noch jahrzehntelang einen enormen Kinderreichtum aufweisen. Das Gefälle zwischen kinderreichen und kinderarmen Gesellschaften drängt auf irgendeine Art von Ausgleich und
ist
so bereits eine Art Arbeitsteilung, auch wenn niemand sie vorhergesehen, geplant und gewollt hat.
    Es handelt sich um die Arbeitsteilung zwischen produktiven und reproduktiven Aufgaben. Wo die Produktivität der Arbeit ansteigt, sinkt die Fertilität. Wo die Industriegesellschaft das Füllhorn des Wohlstands ausschüttet, ist es mit dem Kindersegen vorbei. Und zwar sehr schnell. Das zeigt sich besonders an den Industriegesellschaften, die als Nachzügler ein besonderes Tempo vorlegen. Wir haben es schon oben gesehen: In Südkorea bringen die Frauen im Durchschnitt nur noch ein Kind zur Welt, in Japan nicht viel mehr. Die chinesische Ein-Kind-Politik kann nur deshalb in Maßen erfolgreich sein, weil sie anstößt, was ohnehin schon fällt.
    Länder wie das hochproduktive Japan, die aus kulturellem |263| Eigensinn kaum Einwanderer aus kinderreichen Gesellschaften einlassen, entziehen sich der internationalen Arbeitsteilung zwischen produktiven und reproduktiven Gesellschaften. Die Einwanderungsgesellschaften europäischen Ursprungs – Amerika, Australien, Neuseeland – haben dagegen zusehends mehr Einwanderer auch fremder Kulturen an- und auf sich gezogen. Für die europäischen Länder gilt heute dasselbe.
    In der Einwanderung ist im Keim – neben vielem anderen – bereits eine dreifache Arbeitsteilung angelegt: Erstens bringen die Einwanderer Motivation und Fähigkeiten mit, auch schwere, risikoreiche, niedere Arbeiten zu tun, vom Fensterputzen an Hochhäusern bis zum Spargelstechen. Zweitens ist der Lohn, den sie hierzulande für ihre Arbeit erhalten, in ihrer Heimat ein Vielfaches wert, wird deshalb in Form von Kapital und Gütern zurücküberwiesen und begründet dort eine spezifische, quasieuropäische Konsum- und Produktionskultur. Drittens bedeuten Einwanderung und Familiennachzug, dass kinderreiche Regionen einen Teil dieses reproduktiven Reichtums abgeben. Die Probleme dieses Vorgangs wurden im Kapitel 5 »Der Geburtenrückgang im Kampf der Kulturen« dargestellt. Der hochproduktive Okzident nimmt diesen
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