Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wen küss ich und wenn ja, wie viele? - Lilias Tagebuch

Wen küss ich und wenn ja, wie viele? - Lilias Tagebuch

Titel: Wen küss ich und wenn ja, wie viele? - Lilias Tagebuch
Autoren: Mara Andeck
Vom Netzwerk:
bisschen Flirtroutine anzueignen?
    Keine schlechte Idee eigentlich.
    Es klopft. Mama.
    Och neeeee, sie hat ihr Kartoffelpuffergesicht.
    15.30 Uhr Späteren Generationen, die dieses Tagebuch mit dem Schauder wohligen Grusels durchblättern, muss ich wohl erklären, was ein Kartoffelpuffergesicht ist. Bestimmt gibt es dann elektronische Lexika, in denen man in Sekundenschnelle uralte, längst vergessene Wörter finden kann, aber Leute, das könnt ihr lassen, das Wort »Kartoffelpuffergesicht« werdet ihr darin nicht finden. Meine Mutter ist nämlich die Einzige, diediesen Gesichtsausdruck draufhat. Und das Wort stammt von mir, das kennt außerhalb unserer Familie keiner.
    Falls es jetzt trotzdem jemand in hundert Jahren in so ein Wörterbuch aufnehmen will, schlage ich folgende Definition vor:
    »Kartoffelpuffergesicht: Mienenspiel einer Frau, die sich durch ein Kind (meist ihr eigenes) in der Ausübung hochgeistiger, hochkünstlerischer Tätigkeiten behindert sieht. In dieser Miene spiegelt sich nicht nur der Schmerz einer gepeinigten Kreatur wider, sondern auch die Aufforderung an die Welt, diesen zu lindern. Siehe auch Leichenbittermiene.«
    Dieses Gesicht hat Mama, wenn sie von Rosalie oder mir oder dem Flokati ultragenervt ist, weil wir sie von der Arbeit abhalten.
    Meistens betrifft der Blick das Rosinchen, denn Fünfjährige halten andere nun mal dauernd von der Arbeit ab.
    Stopp, stopp, stopp: Mama sieht dann nicht aus wie ein Kartoffelpuffer. Nein, die Namensgebung für diesen Gesichtsausdruck geht auf eine für Mama ganz typische Situation zurück. Mama arbeitet ja von Zuhause aus, sie übersetzt Romane aus dem Französischen. Eines Nachmittags arbeitete sie an einer hocherotischen Szene, wie sie nur Franzosen schreiben können. Und diese Szene gipfelte in dem Moment, als die Frau für den Mann ein hocherotisches Essen zubereitete. Die rassige französische Mademoiselle kochte ihrem Galan in dieser Situation »Galette de pommes de terre râpées rissolée à la poêle«. Auf Französisch klingt das toll. Aber auf Deutsch klingt das so unsexy wie nur was: Kartoffelpuffer. Mama stand also vor der Aufgabe, eine erotische Umschreibung für das Wort Kartoffelpuffer finden zu müssen. Und alswäre dies nicht Schicksal genug, stand vor ihr auch noch ein sonnenölglänzendes Kleinkind im Badeanzug mit Schaufel und Sandeimer und verlangte nach Bespaßung – Rosalie. In dieser Situation machte Mama das Gesicht, das ich seitdem Kartoffelpuffergesicht nenne, oder auch »Physiognomie de la Galette de pommes de terre râpées rissolée à la poêle«. Oder so ähnlich.
    Der Gesichtsausdruck ist toll. Sie sollte ihn patentieren lassen. Man weiß sofort: Wenn man den ignoriert, gibt’s das volle Programm. Erst mal den völligen psychischen Zusammenbruch und dann Diskussionen. Endlose Diskussionen. Grundsatzdiskussionen. Dazu wird der Familienrat einberufen, das heißt, Paps wird aus dem Arbeitszimmer getrommelt, wo er sich mit weltbewegenden Problemen kunsthistorischer Natur beschäftigt. Russische Marienmalerei im angehenden 12. Jahrhundert unter Berücksichtigung der Farbe Hellgrün oder so was in der Art. Florian wird aus seiner Höhle gerufen. Ich werde herbeigepfiffen, nur Rosalie nimmt nicht teil, die wird auf ihr Zimmer geschickt. Jetzt wird die Aufgabenverteilung im Hause Kirsch bis ins Einzelne aufgedröselt. Dann gibt’s in der Regel Streit zwischen Mama und Papa und das Ganze endet schließlich in »Gesprächen« mit Flocke und mir. Erst spricht Papa mit leiser Stimme auf mich ein, dass wir alle Mama mehr entlasten müssten. »Wir alle«, damit meint er mich. Er kann ja nicht, er muss arbeiten. Und Florian kann auch nicht, der steht im Abitur, was immer das heißen mag. Dann spricht Mama mit schriller Stimme auf uns drei ein, sie könne so nicht weiterarbeiten und nicht weiterleben, sie sei schließlich auch ein Mensch mit Bedürfnissen und wir müssten sie unterstützen. Mit »wir« meintsie – mich. Siehe oben. Und am Ende dieses zermürbenden Gesprächsmarathons zockele ich mit meiner kleinen sonnenölglänzenden Schwester ins Freibad oder auf den Spielplatz und buddele im Sand, was ja bekanntlich zu den Lieblingsbeschäftigungen Sechzehnjähriger gehört.
    Im Laufe der Zeit habe ich gelernt, sofort nachzugeben, wenn Mama dieses Gesicht macht. Ich verliere ja sowieso und so erspare ich mir wenigstens die »Gespräche«. Und für Rosalie ist das auch nicht toll. Also ziehen Rosinchen und ich nachmittags oft
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher