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Welskopf-Henrich, Liselotte - Das Blut des Adlers 4 - Der siebenstufige Berg

Welskopf-Henrich, Liselotte - Das Blut des Adlers 4 - Der siebenstufige Berg

Titel: Welskopf-Henrich, Liselotte - Das Blut des Adlers 4 - Der siebenstufige Berg
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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halbe Stunde vor Dienstschluß stand Carrs Wagen wieder vor der Superintendentur in der Agentursiedlung.
     
    Der Superintendent saß schon an seinem Schreibtisch und hatte seinen Stellvertreter Shaw rufen lassen.
    »In drei Tagen genauen Bericht über die Büffelranch des Joe King. Dort scheint mir nicht alles in Ordnung zu sein. Mangelhaft gehütete Büffel sind eine öffentliche Gefahr.«
    Shaw nickte.
    »Hat sich ein Cowboy Bob dieser Ranch strafbar gemacht?«
    »Wehrdienstverweigerung.«
    Carr fühlte einen leichten Schock.
    »Also den Bericht.«
    Shaw notierte und wiederholte: »Bericht.« Er verbarg dabei, wie erfreut er war, daß der neue Superintendent offenbar selbst die Widerstandsclique entdeckt hatte, die Nick Shaw schon lange, aber bisher vergeblich verfolgte.
    Es wurde vier Uhr nachmittags. Carr beendete den Dienst, fuhr 100 m weiter zu seiner Dienstwohnung im einstöckigen, gut eingerichteten Haus und wurde von seiner Frau begrüßt, die in allem dachte wie er selbst.
    Da es auf der Reservation keinerlei Klub, kein Restaurant, kein Theater, kein Kino gab, genoß Carr nach der Zeitungslektüre mit Frau Emily zusammen die Anregungen der Television. Als der Western langweilig wurde, überwand sich Frau Emily und erzählte.
    »Heute mittag sind zwei junge Verbrechertypen hier durchgefahren. Der eine war eine Mulatte. Clyde hatte die beiden als Anhalter mitgenommen.«
    Chester Carr schaltete den Fernsehapparat auf geringere Lautstärke, griff wieder nach der Zeitung, knisterte damit und fragte endlich: »Wer hat die drei festgestellt?«
    »Die beiden Indianerpolizisten.«
    »Auch das noch. Wieso?«
    »Clyde war aufgefallen. Er fragte die alten Männer aus, die an der Straße umhersaßen.«
    »Woher weißt du es?«
    »Ich kam mit Clarence vom Supermarket.« Clarence war die Haushaltshilfe, eine Negersfrau, die das Ehepaar Carr sich aus dem Süden mitgebracht hatte.
    »Und dann?«
    »Die drei wurden angewiesen, sich nicht aufzuhalten. Sie fuhren weiter.«
    Chester Carr schaltete die Television auf volle Lautstärke, sah sich das von Revolverschüssen begleitete Happy-End des Western und eine Komödie an und hüllte dabei seine Gedanken in ein Dämmerdunkel, wie es im ganzen Raume herrschte. Er hatte eine schriftliche Anweisung bei der Polizei hinterlegt, daß sein Sohn Clyde sofort aus der Reservation auszuweisen sei, wenn er gesehen werde. Die Polizisten hatten korrekt gehandelt. Aber Carr glaubte schon das Hohngerede unter den Indianern, boshaftes, bemitleidendes Geflüster seiner Beamten – außerhalb der Dienstzeit – zu vernehmen, und er spürte das Triumphgefühl Clydes, dem es schon wieder gelungen war, seinen Vater vor allen Leuten und an seiner Dienststelle lächerlich zu machen. Im Pop-Auto mit zwei Verbrechertypen! Clyde war also nicht nur von blödsinnigen Schlagworten wie Rassismus und Kolonialismus besessen, er war durch seine Kritiklosigkeit gegenüber schlecht angezogenen und farbigen Leuten auch in üble Gesellschaft geraten. Es lag ihm offenbar nichts mehr daran, ob man ihn verhaften würde. Vielleicht provozierte er bewußt, und Chester Carr war machtlos gegenüber einem mündigen Sohn, der wenig Bedürfnisse zeigte, kein Geld verlangte und das Gefängnis noch nicht zu fürchten gelernt hatte.
    Gegen 11 Uhr nachts folgte Chester dem fragenden Blick seiner Frau, erhob sich und ließ das Fernsehlicht erlöschen. Wie einfach. Vielleicht wurde im Jahre 3000 ein Schaltknopf für das Gehirnzentrum des Menschen erfunden, um Gedanken in Gang zu setzen und sie ebenso schnell abzudrehen. Für die lebende Generation blieb nichts übrig, als sich zu Bett zu begeben und die Beruhigungspille einzunehmen, für die Frau Emily schon einen Schluck Wasser bereitgestellt hatte.
    Das Haus lag im Dunkel. Chester schlief ein, ohne noch etwas gesagt zu haben, aber er wußte, daß Emily mit den gleichen Sorgen umging wie er selbst.
    Als es Morgen wurde, als der Wecker rasselte, als ein paar Vögel durch den wohlgepflegten Garten des Superintendenthauses huschten und Mr. und Mrs. Carr sich wie gewohnt ham and eggs servieren ließen, hatte Chester beschlossen, nirgendwo auf die Sache Clyde zurückzukommen, weder in der Familie noch im Büro.
    Er verabschiedete sich höflich von seiner von ihm noch immer verehrten Frau. Larry hatte den Wagen bereit und fuhr den Chef über die Strecke der 100 m zur Superintendentur.
    Carr wandte sich den laufenden Amtsgeschäften zu und empfing Miss Bilkins, die für das Schulwesen
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