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Welskopf-Henrich, Liselotte - Das Blut des Adlers 4 - Der siebenstufige Berg

Welskopf-Henrich, Liselotte - Das Blut des Adlers 4 - Der siebenstufige Berg

Titel: Welskopf-Henrich, Liselotte - Das Blut des Adlers 4 - Der siebenstufige Berg
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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verantwortlich zeichnete. Sie war blond und hellhäutig, im Norden geboren, wie Carr ihren Personalakten bereits entnommen hatte. Das letzte ihrer Schriftstücke, das Miss Bilkins vorlegte, war ein Antrag, den jungen Indianer Hugh Mahan, der soeben das College abgeschlossen hatte, bei der Superintendentur zu beschäftigen. Zeugnisse, Lebenslauf, Paßbild, eine ausführliche Beurteilung waren beigefügt. Carr ließ den Blick über die Papiere laufen, schichtete sie wieder zusammen und legte sie nochmals auseinander. Er gestand sich selbst nicht ein, daß ihn das ausgezeichnete Abschlußzeugnis dieses Farbigen stutzen ließ und verärgerte. Mahan hatte am College besser abgeschnitten als einst Chester Carr. Carr war entschlossen, den Antrag auf Mahans Einstellung in sein Büro abzulehnen. Intellektuelle waren eine Krankheit des Landes, farbige Intellektuelle die Pest schlechthin.
    Der neue Superintendent lehnte sich in seinem Dienststuhl mit Armlehnen zurück und kritisierte.
    »Miss Bilkins! Sie haben diesen jungen Mann vor drei Jahren zum Besuch des College mit entsprechendem Stipendium vorgeschlagen. Warum?«
    »Ein ausgezeichnetes Baccalaureat, Mister Carr. Mahan war der Beste der ganzen Seniorenklasse, und Superintendent Sir Hawley hat den Antrag warm befürwortet.«
    »Das sind vergangene Zeiten, Miss Bilkins. Ich muß nach dem heutigen Stand unserer Erfahrungen urteilen. Wieso hat Mahan sein ›ausgezeichnetes Baccalaureat‹ erst mit 20 Jahren abgelegt?«
    »Er wurde von den Eltern zwei Jahre zu spät zur Schule geschickt.«
    »Eine widersetzliche Traditionalistenfamilie, dazu eine Nachlässigkeit der Verwaltung. Er kam dann in das Internat?«
    »Außerhalb der Reservation. Drei Jahre keine Erlaubnis des Elternbesuchs, dann war der Vater verstorben, und die Mutter kam nicht. Sie ist unbeholfen. Hugh Mahan ist ganz und gar unser Zögling geworden.«
    »Erst mit 22 Jahren hat er das Studium begonnen. Wo ist er in der Zwischenzeit gewesen?« Carr blätterte.
    »Er hat in Chicago am Indian Center als Sekretär gearbeitet. Das Zeugnis liegt bei.«
    »Das Zeugnis ist zu gut, Miss Bilkins. Das Center in Chicago arbeitet nicht in unserem Sinne. Die militanten United Natives haben dort getagt.«
    »Sie wissen natürlich mehr als ich, Mister Carr.«
    »Das ist meine Aufgabe. Seine Collegezeit hat dieser Hugh Mahan mit vorzüglichen Leistungen beendet, nachdem er mit sehr schlechten angefangen hatte. Derselbe Vorgang wie in der Schule. Elf Jahre ein schlechter Schüler, dann das gute Baccalaureat. Sie werden auch nicht glauben, Miss Bilkins, daß ein Schüler elf Jahre lang faul sein und dann im zwölften ein ausgezeichnetes Baccalaureat machen kann. Er hat schon als Junge im verborgenen gelernt. Er ist ehrgeizig und heimtückisch.«
    »Mister Carr – Mahan erscheint eher gehemmt. Er ist ein Spätentwickler.«
    »Hm. Vielleicht würde er in unserem Büro neun Jahre lang nichts leisten, um uns im zehnten – wer weiß womit! – zu überraschen. Nein, Miss Bilkins, das ist nicht der Typ, den wir für die Superintendentur brauchen.«
    Miss Bilkins schwieg beschämt.
    Carr war hierdurch befriedigt.
    »Sie sehen ein, daß ich recht habe. Lesen Sie die Papiere dieses Mahan noch einmal genau durch und schreiben Sie eine andere Beurteilung – ich gebe Ihnen die vorliegende zurück, bitte – «
    Miss Bilkins nahm die Blätter mit merkbarem Widerstreben wieder an sich.
    »Ich werde Ihnen aber den Gefallen tun, mir den merkwürdigen jungen Mann anzusehen. Wann können Sie ihn beischaffen?«
    »Er wartet.«
    »Aha.«
    Carr gab seiner Sekretärin telefonisch Bescheid.
    Der fünfundzwanzigjährige Indianer trat ein. In einem rohlederfarbenen Hemd, dunklen Jeans, mokassingleichen Halbschuhen stand er vor dem Superintendent. Er hatte den in der Gegend üblichen Cowboyhut abgenommen. Von seiner Erscheinung ging etwas wie ein Luftzug aus einer fremden Atmosphäre aus. Seine Haut war braun, das Haar schwarz.
    Carr musterte ihn länger, als er einen weißen und freien Stellungssuchenden gemustert hätte, denn der vor ihm stand, war ein Farbiger und ein Reservationsindianer, durch Gesetz unter Vormundschaft gestellt wie alle seine Stammesgenossen. Der junge Mann war groß gewachsen, schmalhüftig, nicht eben breitschultrig, ein Langschädel. Seine Hände waren schlank. Er stand da, ohne sich zu regen. Das gab Carr einen Gedanken ein.
    »Haben Sie gedient?«
    »Nein!« Die Stimme war dunkel und sehr gedämpft.
    »Warum
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