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Wellentraum

Wellentraum

Titel: Wellentraum
Autoren: Virginia Kantra
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war, ins Meer.
    Sie merkte sofort, dass es ein Fehler gewesen war, die Kleider nicht auszuziehen. Der weite Rock wand sich um ihre Beine und schränkte ihre Bewegungsfreiheit ein, während sie mit kräftigen Beinstößen zum Grund hinabtauchte. Ihre Menschenaugen waren nicht für dieses gefilterte Licht geschaffen. Aber das war in Ordnung. Sie musste nicht sehen können.
    Wie ein Fisch an der Angel schwamm sie – gezogen von dem schimmernden Faden, den sie als Caleb erkannte – durch kühles, trübes Wasser, das vor Leben wimmelte. Ihre Nase war verschlossen. Sie konnte den Dämon nicht riechen. Aber sie spürte die Präsenz des Elementargeistes wie einen Schmerz in ihren Stirnhöhlen, wie Asche in ihrem Rachen. Die Bedrohung durch ihn atmete wie ein Monstrum in der Dunkelheit unter ihr. Unheilvoll, hungrig, gewaltig.
    Margred fröstelte, während sie nicht aufhörte, mit ihren dünnen, schwachen Menschenbeinen und den langen, weißen Menschenfingern weit auszuholen.
    Sie folgte Calebs schwindendem Geist und der schwarzen Spur des Dämons hinab, dorthin, wo sich Calebs Blut wie eine Rauchwolke durchs Wasser kräuselte.
    Fast …
da.
    Ihr Herzschlag setzte aus.
    Caleb, in Ketten hinabtreibend, all seiner Kraft, seiner Luft beraubt, die Haut wächsern. Sein Körper schaukelte in der sanften Dünung wie zu einer unhörbaren Musik.
    Eine schreckliche Mischung aus Hoffnung und Kummer ließ ihre Lungen anschwellen. Ihre Kehle war wie zugeschnürt. In ihrer Brust brannte es. Kam sie noch rechtzeitig? Oder zu spät?
    Calebs Kopf, der schlaff herabhing, wurde von der Strömung hin und her gewiegt. Seine Lider hoben sich träge.
    Und der Dämon sah aus seinen Augen.
    Sie wich zurück.
    Tan
hatte Caleb ihn – oder er sich selbst – genannt. Das alte walisische Wort für »Feuer«. Sein Geist stand in Flammen.
    Der dünne, helle Faden, der sie mit Caleb verband, zerriss.
    Ihr Mund öffnete sich zu einem stummen Schrei der Trauer.
    Der Dämon saß in der Falle, er ertrank, starb mit Caleb, aber er sah sie noch immer hasserfüllt und ohne einen Gedanken an Niederlage in den Augen an. Er war älter, als sie es war. Sie spürte, wie sein Alter sie bedrängte, Jahrhunderte der Bösartigkeit und Feindseligkeit und Macht, unsterblich, elementar. Er glaubte nicht, dass er verlieren konnte.
    Margred wollte schon den Mut sinken lassen. Der Druck auf ihre Stirnhöhlen nahm zu.
    Auch sie glaubte nicht, dass er verlieren konnte.
    Tan sah sie – einen weiteren Körper, einen weiteren
Wirt
 – und raste auf sie zu, ein Feuerball, der auf ihren Kopf zielte und in einem sengenden Schwall aus Raserei und Willenskraft durchs Wasser schoss. Sie taumelte über dem Meeresgrund dahin, um Gleichgewicht ringend, um Halt, um Atem.
    »Im Wasser hast du Macht.«
    Aber sie konnte nicht
atmen.
    Undeutlich nahm sie Dylans großen schwarzen Seehundleib wahr, der durch eine Wolke aus Luftblasen herabtauchte. Zu spät. Tans Bösartigkeit übermannte sie. Er war pures Feuer, suchend, verzehrend, heiß. Er bestürmte sie, das zarte Gewebe ihres Mundes und ihrer Augen, die geheimen Stellen ihres Schoßes und ihrer Seele, trocknete sie aus, erforschte sie, ergriff von ihr Besitz. Margred schreckte zurück. Er war stark, stärker als sie, ein Elementargeist, der einzig ihre Auslöschung im Sinn hatte. Sie war nur ein Mensch, und Caleb war tot.
    Nur einen Augenblick lang leckte Versuchung an ihren Nerven und flackerte in ihrem Gehirn auf. Ein Funke, eine Flamme. Wenn Tan in sie fuhr, wenn er sie in Besitz nahm, ihr dämonischer Geliebter, würde sie dann nicht wieder unsterblich sein?
    »Es gibt Schlimmeres als den Tod«,
hatte Caleb gesagt.
    Ah.
    Sie hörte auf zu denken, hörte auf zu atmen. Sie spürte, dass ihr Herz – ihr schwaches, menschliches, gebrochenes Herz – noch immer schlug. Sie war noch nicht besiegt. Wenn Caleb tot war … Der Verlust ließ sie erschauern. Es war nun an ihr, dafür zu sorgen, dass er nicht umsonst gestorben war. Sie rief das Wasser zu sich, bot all ihre Macht auf, trank es wie Blut, wie Wein. Lebensspendend. Berauschend.
    Sie fühlte die Überraschung des Dämons, seinen Schmerz. als die Magie in ihr anschwoll wie Wasser und sie überspülte, sie einhüllte, sie beide einhüllte, ihn zurückstieß, fortstieß. Sie schloss ihn ein mit ihrem Geist, bäumte sich auf wie eine Woge, perlengleich schimmernd.
    Tan, ich binde dich!
    Sie ließ ihre Seele in eine glänzende, silberne Haut fließen, die ihn umfing wie eine
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