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Wellenbrecher

Titel: Wellenbrecher
Autoren: Minette Walters
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verklemmt hatten, rührte sich etwas. Auf der Lady Rose lag ein dürftig bekleidetes Paar mit ölglänzenden Körpern und geschlossenen Augen auf der Laufbrücke, und auf der Mirage hielt ein junges Mädchen eine Videokamera ans Auge gedrückt und schwenkte auf der Suche nach einem lohnenden Objekt den steilen grasbewachsenen Hang des West Hill hinauf.
    Niemand bemerkte die zwei Brüder, die in diesem Moment die Bucht entlangrannten. Die kleine Französin entdeckte allerdings den einsamen Wanderer, der auf seinem Weg den Hang hinunter den beiden Jungen entgegenkam. Durch den Sucher ihrer Kamera nahm sie nur den gutaussehenden jungen Mann wahr, den sie im Visier hatte, und sie wurde ganz aufgeregt bei der Aussicht auf ein neuerliches zufälliges Zusammentreffen mit dem schönen Engländer. Sie hatte ihn zwei Tage zuvor an der Berthon-Marina in Lymington kennengelernt, als er ihr mit einem hinreißenden Lächeln den Computercode für die Toiletten verraten hatte, und konnte jetzt ihr Glück kaum fassen: Er war hier - heute - in dieser öden Gegend, die ihre Eltern als ein Juwel Englands bezeichneten.
    In ihrer Verliebtheit und überhitzten Phantasie sah sie in dem jungen Mann mit dem ärmellosen T-Shirt und den knackig-engen Shorts eine langhaarige Version Jean Claude Van Dammes - braungebrannt, muskulös, das glatte dunkle Haar aus dem Gesicht gestrichen, lachende braune Augen, Dreitagebart. In ihren romantisch gefärbten, üppig ausgeschmückten und unglaublich naiven Tagträumen stellte sie sich vor, wie sie schmachtend in seinen Armen lag und sein Herz eroberte. In der Intimität der Vergrößerung durch das Kameraauge sah sie dem Spiel seiner Muskeln zu, als er seinen Rucksack zu Boden gleiten ließ, bis sich das Bild unvermittelt mit den wilden Gesten der Brüder Spender füllte. Mit einem hörbaren Seufzer schaltete sie die Kamera aus und beobachtete ungläubig die herumhüpfenden Kinder, die einen Freudentanz aufzuführen schienen.
    Er war doch bestimmt viel zu jung, um schon Vater zu sein.
    Aber bei den Engländern konnte man ja nie wissen...
     
    Hinter dem Mischlingshund, der in Verfolgung irgendeiner Fährte in zielstrebigem Zickzack vorausrannte, die Nase immer am Boden, suchte sich das Pferd umsichtig seinen Weg den Trampelpfad hinunter, der von Hill Bottom zum Chapman’s Pool führte. Reste von Asphalt zeigten, daß der Pfad früher einmal eine Straße gewesen war, und die verwitterten Spuren einiger Grundmauern inmitten des verwilderten Grüns erzählten von lang verlassenen, eingestürzten Häusern. Maggie Jenner hatte fast ihr ganzes Leben in dieser Gegend verbracht, aber sie wußte bis heute nicht, warum die wenigen Bewohner dieses Zipfels der Insel Purbeck fortgezogen waren und ihre Häuser dem Ruin überlassen hatten. Jemand hatte ihr einmal erklärt, › chapman ‹ sei ein altes Wort für Händler oder Hausierer, aber sie konnte sich nicht vorstellen, womit man an diesem einsamen Ort hätte handeln sollen. Vielleicht war es einfach so, daß ein Hausierer in der Bucht ertrunken war. Jedesmal, wenn sie diesen Weg einschlug, nahm sie sich vor nachzufragen, aber bis sie zu Hause war, hatte sie es immer schon wieder vergessen.
    Die von Menschen angelegten Gärten, die einmal hier geblüht hatten, hatten ein bleibendes Erbe hinterlassen. Rosen, Malven und Hortensien gediehen mitten in Gras und Unkraut, und sie stellte sich vor, wie schön es wäre, in dieser farbenfrohen Wildnis ein Haus zu haben, mit Blick nach Südwesten, zum Kanal, und allein darin zu leben, einzig ihren Hund und ihre Pferde zur Gesellschaft. Wegen der ständigen Steinschlaggefahr an den Küstenfelsen war die Zufahrt zum Chapman’s Pool für den Autoverkehr durch gesicherte Schranken in Hill Bottom und Kingston gesperrt, und so viel Stille hatte etwas sehr Verlockendes. Aber Isolation und die damit verbundene Einsamkeit wurden sowieso zunehmend zur fixen Idee bei ihr, und das beunruhigte sie manchmal.
    Diesen Gedanken noch im Kopf, hörte sie plötzlich das Geräusch eines näher kommenden Fahrzeugs, das im kleinen Gang den holprigen Weg hinter ihr entlangkroch, und sie pfiff erschrocken, um Bertie an ihre Seite zu holen. In der Annahme, das Fahrzeug wäre ein Traktor, drehte sie sich im Sattel herum und sah stirnrunzelnd einen Range Rover der Polizei. Er bremste ab, als er mit ihr auf gleicher Höhe war, und sie konnte Nick Ingram am Steuer erkennen, bevor dieser mit einem flüchtigen Lächeln der Begrüßung weiterfuhr und sie
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