Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Weißes Gift im Nachtexpreß

Weißes Gift im Nachtexpreß

Titel: Weißes Gift im Nachtexpreß
Autoren: Stefan Wolf
Vom Netzwerk:
— hatte einen Briefschlitz, durch den die Post
eingeworfen wurde, ausgenommen Pakete. Eine Metallklappe deckte ihn ab.
    Das automatische Minutenlicht erlosch.
Irene drückte den Lichtknopf. Dann schloß sie auf. Die Diele war dunkel.
    „Bert, bist du da?“
    Niemand antwortete.
    „Ist wieder mal nicht zu Hause“,
stellte Irene fest und nahm ihr Kopftuch ab. „Soll ich ihm was ausrichten?“
    „Nicht nötig. Ich komme wieder vorbei.
Gute Nacht.“
    Er hörte, wie sie von innen abschloß,
und sprang die Treppe hinunter.
    „Mich würde es nicht wundern“, sagte
Karl, „wenn Irene Hansen feststellt: Ihr Brüderlein hat den Koffer gepackt. Mir
ist nämlich eingefallen: Es stand schon mehrfach in der Zeitung, daß alte Damen
telefonisch terrorisiert werden — von einem Typ, der lispelt. Und Bert lispelt.
Da kommt was zusammen — wenn die Polizei nachfaßt.“
    „Außerdem hat er den Penner körperverletzt“,
erinnerte sich Klößchen. „Das kommt noch dazu. Allerdings — Bert weiß nicht,
daß wir das wissen.“
    „Ich denke“, sagte Tim, „er versteckt
sich und wartet ab, was passiert. Ob wir ihn anzeigen, ob Polizei antanzt. Er
braucht ja nur seine Schwester anzurufen. Wenn bis morgen abend Ruhe herrscht —
abgesehen von unserem Besuch jetzt — , traut Bert sich
aus dem Dunkel hervor. Und dann schnappen wir ihn. Morgen abend, ja, das ist
die richtige Zeit.“
    Klößchen sah auf die Uhr.
    „Wenn wir uns beeilen — zu Hause sitzt
man bestimmt noch am Tisch. Und meine liebe, um mein Wohl besorgte Mama hat mir
doch hoffentlich etwas aufgehoben.“
    Lachend erklärte Karl, auch er habe
jetzt Hunger, nämlich seit Mittag nichts gegessen — in Anbetracht der
Einladung.
    Sie radelten los.
    Es war noch kälter geworden. Leere
Straßen, schneidender Wind und ein blanker Himmel voller Sterne. Sie
glitzerten, und Tim stellte sich vor, daß es auch dort oben sehr kalt war.
    Die Jungs kamen am Hauptbahnhof vorbei.
    Ein Bus fuhr ab, aber kein städtischer,
sondern einer der Bundesbahn. Er fährt jene Strecken zu Dörfern, die per
Schiene nicht erreichbar sind.
    Der Bus überholte die Jungs. Tim
blickte auf. Und einer der Insassen erwiderte verblüfft seinen Blick, drehte
aber sofort den Kopf weg und duckte sich.
    „Da!“ Tim schrie und streckte den Arm
aus. „Herbert, der Mistkerl! Sitzt im Bus und haut ab.“
    Sie starrten den Rücklichtern nach.
    „Hast du ihn wirklich erkannt?“ fragte
Karl.
    „So wahr ich Hornhaut habe an beiden
Sohlen. So ein Penner! Aber was wundere ich mich? Seit wann steht ein Penner zu
seinem Wort. Einen dicken Mantel hat er an, hochgeklappt den Kragen. Wenn wir
jetzt in die Gartenlaube sehen — ist die persönliche Habe weg. Herbert türmt.
Wohin fährt der Bus?“
    „Wenn’s die Südstrecke ist“, meinte
Karl, „dann über Wannheide, Klucksdorf, Breiterbach, Bringstedt und
Möllmanns-Au bis Otthausen. In der Richtung wurde nämlich eine Bahnstrecke
stillgelegt.“
    „Also entwischt“, knurrte Tim. „Otto Pawelke
kann weiterlügen, und Landers bleibt ungeschoren. Zum Teufel, nein! Wir finden
Bert Hansen, und dann wird Otto die Wahrheit auspacken.“
     
    *
     
    Gaby öffnete ihnen.
    Sieht gesättigt aus, dachte Tim, und
den Kalbsrücken nach Ossi-Art rieche ich bis hierher.
    „Wie nett, daß ihr schon kommt“, meinte
sie biestig, „ich mußte eure idealistische Einstellung herauskehren, um die
Stimmung zu retten. Wirklich unerhört, wie ihr eine Einladung mit Füßen tretet.
Was habt ihr erreicht?“
    „Hm“, Tim überlegte. „Genaugenommen:
nichts. Aber morgen geht es weiter.“
    „Nichts? Und ihr wart anderthalb
Stunden weg. Habt ihr einen Schaufensterbummel gemacht?“
    An der Garderobe hängten die Jungs ihre
Jacken auf.
    Tim beugte sich zu Gabys blitzenden
Blauaugen.
    „Wir haben Landers beschimpft, Fräulein
Glockner, Ottos Komplizen Angst eingejagt — leider zuviel, denn er hat die
Biege gemacht — , einem Telefonterroristen das Handwerk gelegt, das
schändliche, eine kranke Oma gerettet und für morgen einen Plan gemacht. Von
Schaufensterbummel kann keine Rede sein.“
    Gaby lächelte. „Erzählen kannst du viel.“
    Im Sauerlichschen Speisezimmer saßen
noch alle an der Tafel. Sie war festlich gedeckt. Amalie Dessart, die rundliche
Köchin der Sauerlichs, trug soeben den Nachtisch auf.
    Tim übernahm es, seine Freunde und sich
zu entschuldigen. Er redete an die Sauerlichs hin, die ja die Gastgeber waren
und ein bißchen enttäuscht aussahen. Er
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher