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Weisser Oleander

Weisser Oleander

Titel: Weisser Oleander
Autoren: Janet Fitch
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gegangen war, lag ich auf ihrem Bett und stellte sie mir zusammen vor, das Duett ihrer tiefen Stimmen im Halbdunkel über der Reistafel. Ich hatte keine Reistafel mehr gegessen, seit wir aus Amsterdam weggezogen waren, wo wir gelebt hatten, als ich sieben war. Damals war der Geruch immer durch unsere Nachbarschaft gezogen. Meine Mutter sagte immer, dass wir eines Tages nach Bali reisen würden. Ich stellte mir dann vor, wie wir in einem Haus mit außergewöhnlich hohem, spitzem Dach wohnten, von wo aus wir über grüne Reisfelder und unglaublich klares Meer blickten und morgens zu Gongklängen und dem Meckern der Ziegen erwachten.
    Nach einer Weile schmierte ich mir ein Käsebrot und ging nach nebenan zu Michael. Er hatte gerade eine halbe Flasche Rotwein von Trader Joe’s ausgetrunken – »Luxus für Arme«, wie er sagte, da die Flasche einen Korken hatte – und weinte, weil er sich gerade einen Lana-Turner-Film ansah. Ich mochte Lana Turner nicht und hatte keine Lust, mir die sterbenden Tomatenpflanzen anzuschauen. Deshalb las ich Tschechow, bis Michael einpennte, dann ging ich nach unten und schwamm im tränenwarmen Pool. Ich ließ mich auf dem Rücken treiben und schaute zu den Sternen empor, betrachtete den Ziegenbock, den Schwan, und hoffte, dass meine Mutter sich verliebte.
    Das ganze Wochenende lang verlor sie kein Wort über ihr Rendezvous mit Barry, aber sie schrieb Gedichte, knüllte die Blätter zusammen und warf sie in den Papierkorb.
    In der Layout-Abteilung las Kit über die Schulter meiner Mutter hinweg Korrektur, während ich an meinem Tisch in der Ecke saß, Figuren aus aussortierten Fotos schnitt und eine Tschechow-Collage klebte: die Dame mit dem Hündchen. Marlene ging ans Telefon und legte dann die Hand über die Muschel.
    »Barry Kolker ist dran.«
    Beim Klang dieses Namens hob Kit ruckartig den Kopf, wie eine Marionette in den Händen eines ungeschickten Puppenspielers. »Ich nehme das Gespräch in meinem Büro entgegen.«
    »Er will Ingrid sprechen«, sagte Marlene.
    Meine Mutter blickte nicht von ihrem Montagebogen auf. »Sag ihm, dass ich nicht mehr hier arbeite.«
    Ohne mit der Wimper zu zucken, gab Marlene die Lüge weiter.
    »Woher kennen Sie denn Barry Kolker?«, fragte die Chefredakteurin und riss ihre schwarzen Olivenaugen auf.
    »Bloß eine Zufallsbekanntschaft«, antwortete meine Mutter.
    An diesem Abend lockte die lange Sommerdämmerung die Leute aus ihren Wohnungen; sie führten ihre Hunde spazieren, tranken Mixgetränke am Pool und ließen die Füße ins Wasser hängen. Der Mond ging auf und machte sich vor dem unnatürlichen Blau des Himmels breit. Meine Mutter kniete vor ihrem Tisch und schrieb, während ich auf ihrem Bett lag; eine leichte Brise streifte das Windspiel, das wir im alten Eukalyptusbaum aufgehängt hatten. Ich hätte diesen Moment gern für immer eingefroren: den Klang des Windspiels, das leise Plätschern des Wassers, das Klimpern der Hundeleinen, das Gelächter am Pool, das Kratzen des Federhalters auf dem Papier, den Baum, die Stille. Am liebsten hätte ich ihn in ein Medaillon gesperrt und mir um den Hals gehängt. Ich wünschte mir, dass jetzt, in dieser Sekunde, ein tausendjähriger Schlaf über uns hereinbrechen möge wie über Dornröschens Schloss.
    Ein Klopfen an der Tür störte unseren Frieden. Niemand kam je an unsere Tür. Sie legte ihren Federhalter hin, stand auf und griff nach dem Klappmesser, das sie in dem Krug mit den Stiften aufbewahrte, mit einer Klinge, die scharf genug war, eine Katze zu rasieren. Sie klappte es an ihrem Oberschenkel auf und legte den Finger auf die Lippen. Sie raffte den weißen Kimono über ihrer nackten Haut zusammen.
    Es war Barry, der von draußen rief: »Ingrid!«
    »Wie kann er es wagen!«, sagte sie. »Er kann doch nicht so einfach vor meiner Tür aufkreuzen, ohne dass ich ihn eingeladen habe!«
    Sie öffnete die Tür. Er trug ein zerknittertes Hawaiihemd und hatte eine Flasche Wein und eine Papiertüte dabei, aus der herrliche Gerüche stiegen. »Hi«, grüßte er. »Ich war grad in der Gegend und dachte mir, ich schau mal vorbei.«
    Sie stand im Türrahmen und hielt immer noch das offene Messer in der Hand. »So – dachtest du das?«
    Dann tat sie etwas, was ich ihr nie zugetraut hätte. Sie klappte das Messer zu und bat ihn herein.
    Er blickte sich in unserem vornehm kahlen Zimmer um. »Gerade eingezogen?« Sie sagte nichts. Wir wohnten schon seit mehr als einem Jahr dort.
    Als ich aufwachte, schien die
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