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Weisser Oleander

Weisser Oleander

Titel: Weisser Oleander
Autoren: Janet Fitch
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passend heißt«, sagte meine Mutter, während sie den Sicherheitsgurt umlegte. »Aber der Gedanke, die Arbeit für ein paar Stündchen zu schwänzen, ist einfach herrlich.«
    »Es wird dir gefallen.« Barry setzte sich hinter das Lenkrad. »Der Tag ist viel zu schön, um in der alten Tretmühle zu schwitzen.«
    »Dazu ist eigentlich jeder Tag zu schade«, gab meine Mutter zurück.
    Am Cahuenga Boulevard nahmen wir den Freeway, fuhren Richtung Norden an Hollywood vorbei ins Valley und dann ostwärts Richtung Pasadena. Die Hitze lag wie ein Deckel über der Stadt.
    Santa Anita lag am Fuß der San-Gabriel-Berge, ein blauer Granitwall, der wie eine Flutwelle jäh über der Stadt aufragte. Bunte Blumenrabatten und makellos grüne Rasenflächen gaben ihren schweren Duft in die Smogluft ab. Meine Mutter lief ein paar Schritte vor Barry her und gab vor, ihn nicht zu kennen, bis ihr schließlich aufging, dass hier alle so gekleidet waren wie er: weiße Schuhe und grünes Polyester.
    Die Pferde erinnerten an empfindliche Maschinen auf Stahlfedern, sie glänzten wie Metall, und die Satinhemden der Jockeys leuchteten in der Sonne, während sie ihre Reittiere um den Platz führten, jedes Jungpferd von einem älteren, ruhigeren Partner begleitet. Die Pferde, ganz Nerven und Hitze, scheuten vor Kindern hinter der Absperrung, vor Fahnen.
    »Such dir ein Pferd aus«, forderte Barry meine Mutter auf.
    Sie entschied sich für Nummer sieben, eine weiße Stute, wegen ihres Namens: Medeas Stolz.
    Die Jockeys hatten Schwierigkeiten, die Pferde in die Startmaschine zu dirigieren, doch kaum hatten sich die Tore geöffnet, donnerten sie wie eine Einheit über die Rennbahn.
    »Los, Sieben!«, schrien wir. »Schneller, Sieben!«
    Sie gewann. Meine Mutter lachte und umarmte mich, umarmte sogar Barry. So hatte ich sie noch nie erlebt, aufgeregt, lachend, sie schien plötzlich ganz jung zu sein. Barry hatte zwanzig Dollar für sie gesetzt und händigte ihr den Gewinn aus, hundert Dollar.
    »Was haltet ihr von einem Abendessen?«, fragte er sie.
    Ja, bitte sag ja, betete ich. Wie konnte sie ihm jetzt noch etwas abschlagen?
    Sie führte uns zum Essen in das nahe gelegene Restaurant namens Surf ’N’ Turf. Barry und ich bestellten Salat und Steaks mit Folienkartoffeln und saurem Rahm. Meine Mutter trank nur ein Glas Weißwein. Das war Ingrid Magnussen. Sie stellte ihre eigenen Regeln auf, und plötzlich waren sie in den Stein von Rosette gemeißelt, waren aus einer Höhle unter dem Toten Meer geborgen worden, waren auf Schriftrollen aus der Tang-Dynastie verewigt.
    Während des Essens erzählte Barry uns von seinen Reisen in den Orient, von Orten, an denen wir nie gewesen waren. Sein Erlebnis, als er sich in einer Strandhütte auf Bali Zauberpilze bestellt hatte und hinterher am türkisfarbenen Meer entlanggelaufen war und halluzinierte, er sei im Paradies. Sein Ausflug zu den Tempeln von Angkor Wat im Dschungel von Kambodscha, begleitet von thailändischen Opiumschmugglern. Die Woche, die er in den schwimmenden Bordellen Bangkoks verbracht hatte. Meine Anwesenheit hatte er völlig vergessen, er war zu sehr damit beschäftigt, meine Mutter zu hypnotisieren. Seine Stimme beschwor Gewürznelken und Nachtigallen herauf, sie trug uns auf Gewürzmärkte in Celebes, wir trieben mit ihm auf einem Hausboot über das Korallenmeer. Wir waren wie Kobras, die der Bambusflöte ihres Schlangenbeschwörers folgen.
    Auf dem Nachhauseweg ließ sie ihn ihre Taille berühren, während sie ins Auto stieg.
    Barry lud uns zum Abendessen zu sich nach Hause ein und sagte, er würde uns gern ein paar indonesische Gerichte kochen, die er dort gelernt hatte. Ich wartete bis zum Nachmittag, um ihr zu sagen, dass ich mich nicht wohl fühlte, dass sie ohne mich gehen sollte. Ich hungerte nach Barry, ich dachte, er könnte vielleicht der Richtige sein; jemand, der uns ernähren, uns festhalten und uns Wirklichkeit schenken konnte.
    Sie verbrachte eine geschlagene Stunde damit, Kleider anzuprobieren, weiße indische Pajamas, das blaue Gazekleid, das Kleid mit dem Ananas- und Hulamädchen-Muster. Ich hatte sie noch nie zuvor so unschlüssig gesehen.
    »Das blaue«, sagte ich. Es hatte einen tiefen Ausschnitt, und das Blau entsprach genau der Farbe ihrer Augen. Niemand konnte ihr widerstehen, wenn sie das blaue Kleid trug.
    Sie entschied sich für die indischen Pajamas, die jeden Zentimeter ihrer goldenen Haut bedeckten. »Ich komme früh zurück«, sagte sie.
    Nachdem sie
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