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Weiße Nächte, weites Land

Weiße Nächte, weites Land

Titel: Weiße Nächte, weites Land
Autoren: Martina Sahler
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damit hatte sie nicht gerechnet.
    Es passte ihr nicht in die Pläne.
    Ebenso wie ihr ärmliches Leben im Weber-Haus wollte sie den Onkel mit seinen fordernden Pranken hinter sich lassen.
    Hatte es sie anfangs mit Stolz erfüllt, ein gestandenes Mannsbild mit ihrem jungen Körper schier in die Raserei zu treiben, empfand sie ihn inzwischen nur noch als eine Last. Obwohl er es nie aussprach, wusste sie, dass er auf seinem Alleinrecht an ihren Gefälligkeiten bestand. Wären da nicht die Milch für die Schwestern und die Münzen, die er ihr für besondere Wünsche zuwarf, hätte sie die Angelegenheit schon lange beendet.
    War es nicht eine Schande, dass sie ihre Jugend an diesen alten Mann verschwendete?
    Wenn sie mit einem Lächeln auf den Lippen nackt vor dem fast blinden, gesprungenen Spiegel in ihrer Kammer posierte und dem Herrgott für die Vollkommenheit ihres Körpers dankte, fragte sie sich in den letzten Wochen immer häufiger, ob sie mit ihrer weit über die Dorfgrenzen hinaus gerühmten Schönheit nicht viel mehr erreichen konnte. Sehr viel mehr.
    Sie sprang zur Seite, als sie hinter sich das Rumpeln eines Karrens vernahm. Familie Melcher zog an ihr vorbei, der Vater führte mit dem jugendlichen Konrad den Gaul, die Mutter schritt, das Kopftuch unterm Kinn geknotet, neben dem Wagen einher, auf dem die beiden jüngsten Sprösslinge hockten. Sie nickten ihr zu. Konrad grinste und drehte sich zu ihr, um ihr zuzuzwinkern.
    Christina hob den freien Arm. »Wohlan! Gute Reise!«
    »Worauf wartest du noch, Christina?«, rief Konrad beherzt. »Komm, schließ dich uns an!« Das brachte ihm einen kräftigen Schlag mit der flachen Hand auf den Hinterkopf. Die Ohren des Jungen glühten dunkelrot ob der Demütigung.
    Christina lachte ihn aus. Sie wusste, dass die Melchers nach Büdingen zogen, wo sich in diesen Tagen alle Auswanderer der Grafschaft Ysenburg sammelten.
    Ein paar Tage eindringliche Überzeugungskraft hatte es sie gekostet, ihrer Schwester Eleonora die Auswanderung nach Russland als ihre einzige Chance darzustellen. Letzten Endes gab wohl ihre Beteuerung, dass nur dort auf Sophia eine sorglose Zukunft wartete, den Ausschlag, dass sich Eleonora nicht länger widersetzte.
    Es war schon ein Kreuz mit Eleonora, befand Christina. Während sie selbst das Glück bei jeder sich bietenden Gelegenheit beim Schopfe packte, brauchte Eleonora für alle Entscheidungen eine schier unendliche Zeit des Nachdenkens und Abwägens. Niemals setzte sie auf Risiko, niemals entschied sie aus dem Bauch heraus.
    Auch äußerlich waren sie so verschieden, dass keiner sie für Schwestern hielt. Während Christina die hellen Haare und die Haut der Mutter geerbt hatte, schimmerten Eleonoras Haare nachtschwarz wie die der Großmutter väterlicherseits, die längst das Zeitliche gesegnet hatte.
    Wer von ihnen beiden nun die Schönere war, vermochte kein Mensch zu beurteilen. Fest stand nur, dass Christina mehr Eifer darein legte, ihr Aussehen gewinnbringend einzusetzen, während sich Eleonora schon in jungen Jahren an den gleichaltrigen Andreas gebunden, ihn mit siebzehn geheiratet und noch im selben Jahr wieder verloren hatte. Nun saß sie da mit ihrer Schönheit und ihrem Kind. Welcher Mann wollte schon eine Frau mit dem Blag eines anderen?
    Christina lächelte, als sie daran dachte, wie einfach es war, eine Schwangerschaft zu verhindern. Beim ersten Mal hatte sie gestaunt, als Johann seinen Samen statt in sie auf den Boden verspritzte. Aber dann erkannte sie, dass dies die schlicht perfekte Methode war, um zu verhüten, dass ein Kind in ihr heranwuchs.
    Warum nur machten das nicht alle so?, fragte sie sich. Wie viel Leid könnte verhindert werden, wenn der Samen der Männer nicht in den Frauen aufging, sondern auf dem Boden vertrocknete?
    Ganz davon abgesehen war ein Kind, gar von Johann, das Letzte, was sie in ihrem Leben gebrauchen konnte. Mütterliche Regungen bei anderen gingen ihr auf die Nerven. Noch das beste Gefühl, das sie überkam, wenn ihre Schwester das Töchterchen abherzte, war Unverständnis.
    Eleonora hatte sie von ihren Auswanderungsplänen überzeugen können, aber Klara führte sich bockiger als ein Maultier auf, seit sie wusste, dass es sich bei Christinas Ankündigung, die Heimat zu verlassen, keineswegs um einen üblen Scherz, sondern um einen bereits ausgeklügelten Plan handelte.
    Geschrieen und gestampft hatte sie wie der Leibhaftige und Flüche ausgestoßen, die selbst Christina vor Scham das Blut in die Wangen
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