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Weiße Nächte, weites Land

Weiße Nächte, weites Land

Titel: Weiße Nächte, weites Land
Autoren: Martina Sahler
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ab.
    Endlich gelang es ihr, sich aufzurichten.
    Sie setzte sich auf das Bett, starrte auf ihre im Schoß gefalteten Hände und versuchte, ruhig zu atmen.
    Er hatte sie in die Kammer getrieben wie ein störrisches Stück Vieh, sie geschubst, so dass sie hart auf den Boden fiel … Sie biss sich auf die Lippen.
    Auch ohne die neuerliche Demütigung wusste Marliese, wie sehr ihr Mann sie verachtete, wie sie ihn anwiderte und anekelte. Konnte sie es ihm verübeln? Der Frau, die sie heute war, gebührte kein Respekt. Unwillig wischte sie mit zwei Fingern eine Träne weg.
    Wie Gift sickerte aus ihrem tiefsten Inneren dieser Schmerz hervor, den sie mehr als alles andere in ihrem Leben fürchtete und den sie nur auf eine einzige Art zu betäuben verstand. Ihre Hände begannen zu zittern.
    Branntwein, sie brauchte Branntwein.
    Die letzten Schlucke hatte sie herausgewürgt. Ihr Körper fieberte vor Gier nach neuem Schnaps.
    Sie erhob sich, verharrte einen Moment und bemerkte zu ihrer Erleichterung, dass das Schwindelgefühl nachließ. Mit staksigen Schritten verließ sie die Kammer, trat in die Wohnküche.
    Der Raum war leer, das Feuer im Ofen fast niedergebrannt, die Tür zum Hofplatz stand sperrangelweit offen. Sie zog die Schultern hoch, als ein Frösteln ihren Körper schüttelte.
    Dann begann sie mit fahrigen Fingern, die Schränke und Regale nach Branntwein zu durchstöbern.
    Sie atmete schwer, als ihre Suche erfolglos blieb, stützte sich auf den Küchentisch, bemühte sich, ihre flatternden Gedanken zu ordnen, während sich auf ihrer Stirn Schweißperlen bildeten.
    Im Schuppen … Hatte Johann das Fässchen Branntwein, das er aus Büdingen mitgebracht hatte, bei seinen Werkzeugen versteckt? Wo sonst? Das sähe ihm ähnlich, den Schnaps vor ihr in Sicherheit zu bringen und sie verdursten zu lassen.
    Sie wandte sich um und trat aus der Tür. Der Schuppen mit den zerborstenen Fenstern und dem löchrigen Dach lag dem Haus schräg gegenüber, rechts davon die langgezogene Scheune und der Kuhstall.
    Der Gedanke, die freie Fläche des Hofs zu überqueren, ließ Panik in ihr aufsteigen. Sie atmete schneller, kämpfte gegen die unvermittelt einsetzende Todesangst an. Es musste sein, ihr blieb keine Wahl.
    Wie eine Marionette setzte sie einen Fuß vor den nächsten. Sie wusste, warum sie das Haus selten verließ, obwohl sie sich diese Ängste nicht erklären konnte. Ihr Herz hämmerte, als wollte es aus der Brust springen. Die Luft wurde ihr knapp.
    Doch weiter, weiter! Der Schnaps würde ihr helfen und die Panik eindämmen.
    Geräusche ließen sie innehalten, als sie an der Scheune vorbeistakste, deren Tor weit offen stand. Rasch verbarg sich Marliese mit immer noch rasendem Pulsschlag in der Nische zwischen den beiden Gebäuden hinter dem Misthaufen. Sie starrte in das Dämmerlicht des Schobers, während das Blut in ihren Ohren rauschte.
    Sie sah den weißen, schlaffen Hintern ihres Mannes, zwischen seinen gespreizten Beinen schlanke junge Schenkel. Wie ein brünstiges Tier grunzte Johann im Rhythmus seiner Bewegungen.
    Wieder stieg das Würgen in Marliese hoch. Mit offenem Mund atmend, stützte sie sich auf die Mistgabel, die gegen die äußere Wand des Schuppens lehnte, bis sie grüne Flüssigkeit erbrach, deren Geschmack sich gallebitter in ihrem Mund ausbreitete.
    Wie gehetzt ging ihr Blick wieder zu Johann. Und … Christina. Natürlich. Das hätte sie sich denken können, er konnte die Finger von dem jungen Ding nicht lassen.
    Dass er sich schon kurz nach der Hochzeitsnacht andere Weibsbilder genommen hatte, wusste Marliese. Sie erinnerte sich schwach, wie es in den ersten Jahren geschmerzt hatte. Bis sie herausfand, welch wirkungsvolles Mittel es gab, alles Fühlen zu betäuben.
    Als sie nun beobachtete, wie Christina ihre Röcke richtete und Johann auf den Boden sank, mischte sich in die Panik ein unbändiger Hass. Wie er da neben seinem Erguss hockte mit seinem verrunzelten Glied, der benebelte Ausdruck in seinen kleinen Augen, die feuchten, wulstigen Lippen beim Atmen geöffnet …
    Der Gestank des Misthaufens neben ihr drang in ihre Lunge, als sie tief Luft holte. Wie viel Leid hatte dieser Mann über sie gebracht. Wie hatte er sie gedemütigt, getreten, geschlagen, bespuckt … Und wie selbstgefällig nahm er sich, was ihm gefiel und worauf er glaubte, ein Anrecht zu haben.
    Zum ersten Mal seit vielen Jahren verspürte Marliese heftige Regungen, die sie mit dem Kiefer mahlen und die Mistgabel so fest
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