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Weinzirl 02 - Funkensonntag

Weinzirl 02 - Funkensonntag

Titel: Weinzirl 02 - Funkensonntag
Autoren: Nicola Förg
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den besten Händen! Doktor Johanna Kennerknecht, geschäftsführende
Direktorin des Tourismusverbands. Ich darf Sie jetzt auch noch mal ganz
herzlich willkommen heißen.« Obwohl Jo ihr Doktortitel so wurscht war wie das
sprichwörtliche Fahrrad, das in Tokio umfällt, setzte sie ihn heute bewusst
ein.
    Sie schüttelte den Anwesenden einzeln die Hand. Dann gab es eine
dicke Umarmung und Küsschen für den Blonden, der immer noch lächelnd neben dem
Tisch stand.
    »Jens, grüß dich, ich freu mich, dich zu sehen.«
    Jo winkte der jungen Frau zu. Das war Alexandra und neben Jens die
Einzige in der Gruppe, die sie bereits kannte. Die Schupfnudel schoss hoch, um
ebenfalls ein Küsschen zu ergattern. Jo hatte das unangenehme Gefühl, dass
diese Nudel soeben den Dekolleté-Vergleich zwischen ihr und Patti anstellte.
    Ein Stuhl wurde für Jo zurechtgerückt, und für den Moment schien
sich die Stimmung aufzuheitern. Hier kam die Chefin, und die würde alles
erhellen. Für Journalisten machten Touristiker doch alles, verbogen sich,
veränderten feststehende Programme in Sekundenschnelle, zauberten und
jonglierten, um die Schreiberlinge bei Laune zu halten. Leider stießen selbst
Jos Zauberkünste an eine bestimmte Grenze: das Wetter.
    Diese Gruppe von Medienvertretern war eingeladen worden, das schöne
Allgäu von seiner winterlich-romantischen Seite zu erleben. »Bäuerliches
Brauchtum im Bilderbuchwinter« hatte die Einladung versprochen. Der
Verantwortliche für dieses Bilderbuch hatte allerdings reichlich schwarzen
Humor bewiesen, denn dieser Winter fand in diesem Jahr irgendwo oberhalb von
dreitausend Metern statt – dort wo das Allgäu definitiv keine Berge mehr hatte.
Knapp darunter, also auf zweitausendneunhundert Metern, wo das Allgäu immer
noch keine Berge hatte, regnete es. Es schüttete wie aus Kübeln. Das erste
Motiv aus dem winterlichen Bilderreigen war bereits komplett abgesoffen: das
»Schalenggen-Rennen« in Wertach.
    »Schalenggen« nennen die Allgäuer die großen hölzernen
Hörnerschlitten, die den Bergbauern früher hauptsächlich zur Beförderung von
Milch, Heu und Holz dienten. Seit 1982 gehörte Wertach zu den traditionellen
Ausrichtern von »Schalenggen-Rennen«, und jedes Jahr im Februar gehen bis zu
hundertdreißig Schlitten mit einer zweiköpfigen Besatzung an den Start. Schon
beim Aufstieg zum Start säumen Schnapsbuden den Weg, und die tollkühnen Piloten
trinken sich jede Menge Mut an. Den brauchen sie auch, denn nahezu unsteuerbar,
ungefedert und extrem bockig katapultiert der Schlitten seine Fahrer gern mal
in den Wald. Daher besagt das Reglement auch, dass beide Fahrer und
zumindest ein eindeutig identifizierbarer Teil des Schlittens durchs Ziel
kommen müssen.
    Dieses Jahr war es eine besondere Höllenfahrt gewesen. Die Spur
bestand nur aus Eisplatten und Schlamm. Die Journalisten standen buchstäblich
im Regen, von Bilderbuch- und Fotowetter keine Spur! Eigentlich hätten die
Medienleute selbst eine Probefahrt machen sollen, aber das wäre auf dem Eis
mörderisch gewesen. Wobei es um einige von ihnen nicht schade gewesen wäre,
dachte Jo.
    Das alles wäre ja noch angegangen, wären diese Medienvertreter alle
so gepolt wie die nette Alexandra aus Berlin oder eben Jens, der Reiseredakteur
einer großen Zeitung in Hamburg, den Jo schon lange kannte, mochte und ziemlich
sexy fand. Beide waren professionell, witzig – und ohne Berührungsängste bei
Worten wie »bitte« und »danke«. Worte, die beim Rest der Gruppe offenbar ein
Tabu waren.
    Alexandra und Jens hatte Jo selbst eingeladen, die anderen waren ihr
von übergeordneter Stelle, dem Bayern-Tourismus, aufs Auge gedrückt worden. Man
hatte kurzerhand über Jos Kopf hinweg den Hotel- und Gaststättenverband zu Rate
gezogen und hossa!, jeder der Hoteliers hatte einen Medienvertreter in petto,
den er unbedingt einladen wollte.
    Die Hoteliers hatten vor allem Mumien in der Kartei:
»Häppchen-Hannelores« und »Buffet-Brunos«, wie Jo sie nannte, waren Dinosaurier
aus Reisejournalisten-Zeiten kurz nach dem Zweiten Weltkrieg, als die
Petticoats noch am Lago Maggiore wippten und Songs von »Kleinen Italienern«
populär gewesen waren. Heute hatten die Mumien eine gute Rente und eine ganz heiße
Hotline. Wann immer es irgendwo eine » PK «,
Abkürzung für Pressekonferenz, mit Freibier und landestypischen Spezialitäten
gab, dann wussten sie davon. Heuschreckengleich fielen sie ein. Weil’s ihnen im
trauten Heim zu fad war, gingen sie
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