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Weinzirl 02 - Funkensonntag

Weinzirl 02 - Funkensonntag

Titel: Weinzirl 02 - Funkensonntag
Autoren: Nicola Förg
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Watte gefüllt. Sie schöpfte kaltes Wasser in ihr Gesicht, ihre
Augenringe schimmerten bläulich. Sie war wächsern-blass. Als sie vor die Tür
trat, rang sie unwillkürlich nach Luft, aber die Luft hatte keine Substanz, man
konnte sie nicht richtig einatmen. Sie versuchte noch mal, tief durchzuatmen,
so wie es eigentlich nur im Winter möglich ist, wenn die Kälte die Luft
gleichsam fühlbar macht. Aber das war kein Winter! Das war die Wucht des Föhns.
Binnen Minuten begann Jos Herz zu rasen, und zu all der Wut und dem Kummer kam
eine mahlende Unruhe. Es war, als wäre die Atmosphäre geladen mit aggressiven
Teilchen, die durch jede Pore drangen und den Körper bleiern machten. Jo fuhr
durch Zaumberg, es war neun Uhr am Morgen und fünfzehn Grad. Plusgrade
wohlgemerkt! Der Wind rüttelte an Jos Wagen. Der Jeep schien die CW -Werte eines Reihenhauses zu haben.
    Im Bürgermeisteramt eilten Menschen auf den Gängen umher, Telefone
schellten lauter und fordernder als sonst, ungewohnte und ungebührliche Hektik
in diesem Hort der beamteten Gelassenheit. Die Sekretärin des Bürgermeisters
rollte statt einer Begrüßung nur mit den Augen. Sie hob lasch die Hand, und Jo
nickte ihr zu. Jos Augenlider waren schwer vom Weinen und schwer von der
Müdigkeit. Sie bekam die Bildzeitung in die Hände. Das konnte nur auf dem Mist
des Investigators gewachsen sein! Sie hätte es wissen müssen. Der Mann großer
Worte konnte sich auch ganz kurz fassen. Einer, der sonst das Wort »Boulevard«
gleichsetzte mit Pest und Cholera, hatte am Abend noch bei den BILD -Kollegen angerufen. Die hatten ihm
mit Sicherheit ein brillantes Infohonorar bezahlt. Und für ihn hatten sie
tatsächlich Flüsse umgelenkt. Sein Artikel stand dick auf der Eins, und dazu
gab es ein Foto, das irgendeinen Funken zeigte. Das Perfide war die Hexenpuppe.
Sie sah aus wie ein echter Mensch, bei genauem Hinsehen entpuppte sie sich als
Schaufensterpuppe. Eine Fotomontage? Jo wurde übel, für einen Moment hatte sie
das Gefühl, zur Toilette rennen zu müssen.
    Ein Gefühl, das sich verstärkte, als sie in den großen Sitzungssaal
blickte. Der Bürgermeister, Mister-180-Volt, sah aus, als stünde sein
Kreislaufkollaps knapp bevor. Er redete auf einen lokalen Kultursponsor ein,
einen Rotary-Vorsitzenden, der sein Fachwissen immer zu den unpassendsten
Momenten und Zeitpunkten einzubringen wusste. Der Rotarier fand immer Gehör,
weil er zur rechten Zeit sein Portemonnaie fand. Einige Stadträte hatten sich
eingefunden, die ein bisschen wirkten, als hätte man sie direkt aus dem Bett in
einen Orientierungslauf gejagt, und als wüssten sie nicht Bescheid über den
Zweck ihrer Anwesenheit.
    Gerade als Jo sich aufraffen wollte hineinzugehen, tippte es ihr auf
die Schulter. Der Stadtkämmerer, der auch mit Tourismusfragen befasst war, sah
Jo mit ehrlichem Mitgefühl an.
    »Was fir a gschpässige Sach. Ma hert, du bisch dbeigschtanda?«
    Jo sah ihn dankbar an. Er war ein Mensch inmitten der Zombies! »Ja,
ich, ich …«
    Der Kämmerer nickte verständnisvoll: »Mei, was fir a Gschicht fir
Eckarts.« Er wohnte wie Jo auch im Bergstättgebiet und war betroffen. »Mei,
wenn i mir vorschtell, des wär bei iserm Funka passiert.« In dem Moment
erspähte Mister-180-Volt die beiden und brüllte sie an, einzutreten.
    Die Beschimpfungen waren die gleichen wie am Telefon. Jo versuchte,
ihren Standpunkt klarzumachen, und der Kämmerer bemühte sich immer wieder,
konstruktive Ansätze zu finden. Dafür packte er sein bestes Hochdeutsch aus.
    »Wir müssen ein Krisenszenario entwickeln! Was sagen wir, wenn Gäste
ihren Aufenthalt stornieren wollen? Was sagen wir der Presse? Wer ist überhaupt
befugt, Auskunft zu geben?«
    Für so viel Struktur war der Bürgermeister nicht bereit. Er tobte
weiter. Schließlich erhob sich Jo. »Wie Sie ja alle wissen, öffnen wir in der
Nebensaison um zehn Uhr, und da Frau Lohmaier mit der Mediengruppe unterwegs
ist, werde ich das Büro öffnen.«
    Und bevor die Äderchen an der Schläfe des Bürgermeisters zu platzen
drohten, war Jo auch schon draußen.
    Als sie ihr Büro in Immenstadt betrat, läutete das Telefon Sturm.
Sie ließ den Anrufbeantworter anspringen, es wurde aufgelegt. Drei Minuten
später läutete es erneut, Jo atmete tief durch und nahm ab.
    »Wer war denn die Leiche im Funken, gnä’ Frau?«, fragte eine Stimme
am anderen Ende der Leitung.
    Jo zuckte zusammen wie unter einem Schlag und war auf einmal
hellwach.
    »Sie waren dabei,
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