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Weil sie sich liebten (German Edition)

Weil sie sich liebten (German Edition)

Titel: Weil sie sich liebten (German Edition)
Autoren: Anita Shreve
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auf und flippte total aus. »He,
was machst du da?«, schrie er. Er holte mich mit Gewalt aus dem Bett, und  ich musste Schrubber und Eimer besorgen und
die Bescherung aufwischen. Den Rest der Nacht hockte ich in meine Steppdecke
gewickelt im Badezimmer auf dem Boden. Ich glaube, ich habe in dieser Nacht
nicht eine Minute geschlafen.
    Aber so scheußlich das war, es war nichts im Vergleich zu dem, was
noch kam. Der schlimmste Moment meines Leben war nicht, als ich erfuhr, dass Bilder
von der Nacht im Internet zu sehen waren. Auch nicht, als der Schulleiter,
Bordwin, mich zu sich bestellte und mir eröffnete, dass er das Originalband hatte.
Es war auch nicht der Moment, als meine Mutter in den Konferenzraum kam und ich
ihr in die Augen sehen musste. Es war nicht einmal der Moment, als die Polizei
vor dem Motel stand und mich festnahm. Nein, der schlimmste Moment meines
Lebens war der, als Mr. Taylor ins Motel kam, mir sagte, ich soll mich setzen,
und mir mitteilte, dass sie Silas gefunden hatten.
    Nichts kann diesen Moment je vergessen machen.
    Ich habe lange darüber nachgedacht, warum wir das alles getan haben,
aber ich glaube, der Grund lag in unserem Handeln selbst. Einen Grund gab es
nicht.
    Das soll keine Entschuldigung sein. Das ist nur meine Überzeugung.
    Aber auch wenn ich glaube, dass es keinen Grund gibt, weiß ich doch,
dass es unrecht war. Es war unmoralisch. Es war vielleicht sogar
verbrecherisch. Und die Folgen dieser einen Nacht waren katastrophal. Wenn ich
anfangs an  Silas, seine Eltern oder
Noelle dachte, wäre ich am liebsten selbst diesen Berg hinaufgerannt und oben
geblieben, bis auch ich erfroren wäre.
    Meine Eltern ließen sich kurz nach dem Skandal scheiden. Ich wusste,
dass sie keine gute Ehe führten, aber in meinem letzten Schuljahr hatte ich den
Eindruck, dass sie besser miteinander zurechtkamen. Vielleicht hoffte ich das
auch nur. Als meine Mutter mich im Herbst besuchte, wirkte sie jedenfalls
glücklicher. Aber vielleicht kam das auch nur daher, dass sie mit mir zusammen
war.
    Ich sehe jeden Tag die Sorge in ihrem Gesicht. Sie ist meinetwegen
in ständiger Unruhe, und das ist schrecklich für mich. Es ist schrecklich für
mich, dass sie sich solche Sorgen macht. Ich weiß, es wäre besser für uns
beide, wenn wir getrennt leben könnten, und bald geht das ja auch. Ich suche im
Internet viel nach gemeinnützigen Organisationen. So eine zweiwöchige
gemeinnützige Tätigkeit wie Studenten sie absitzen, um in einem Aufsatz darüber
zu schreiben, interessiert mich allerdings nicht. Auch nicht etwas wie diese
sogenannten Sozialstunden, die ich im Rahmen meiner Bewährung ableisten musste:
Basketball-Trainingsprogramme in der Umgebung aufziehen. Tolle Strafe. Nein,
ich spreche von einem langfristigen Engagement. Ich habe eine Organisation in
Uganda aufgetan, die dabei ist, ein Krankenhaus zu bauen, und ich habe mit
Ärzte ohne Grenzen wegen eines Impfprogramms in Thailand Kontakt aufgenommen.
Ich muss von hier weg. Obwohl es gar nicht so ist, kommt es mir vor, als hätte
ich die letzten zwei Jahre in einem Käfig eingeschlossen gelebt, ohne auch nur
einmal an die Luft zu können. In vergangenen Zeiten, als junge Männer so etwas
noch taten, hätte ich wahrscheinlich auf einem Handelsschiff angeheuert. Ich
habe in letzter Zeit viel Eugene O’Neill gelesen. Sobald der letzte Tag meiner
Bewährungszeit um ist, rede ich mit meiner Mutter und dann bin ich weg.
    Ich glaube nicht, dass ich das Leben meiner Mutter zerstört habe.
Wenn ich das glaubte, würde ich sie nicht allein lassen. Aber sie möchte auch
weg, ihr eigenes Leben führen. Das spüre ich.
    Und wenn auch viele das vielleicht anders sehen, glaube ich dennoch
auch nicht, dass ich mein Leben zerstört habe. In den
zwei Jahren seit ich Avery verlassen musste, hatte ich viel Zeit zum
Nachdenken. Und ich habe viel gelesen. Natürlich ist nichts mehr in meinem
Leben, wie es einmal war, aber das heißt nicht, dass es zerstört  ist. Vielleicht war es gut, dass ich den Weg
verlor oder verließ – vielleicht hat gerade der Wunsch, dass genau das
geschehen möge, mich veranlasst, in diesem Zimmer zu bleiben –, denn jetzt bin
ich ein anderer Mensch. Ich kann nicht mehr den Weg gehen, den alle anderen
meiner Generation gehen. Ich muss mir meinen eigenen suchen.
    Wirklich, ich glaube nicht, dass jemand das Unglück eines zerstörten
Lebens zu beklagen hat. Sicherlich nicht J. Dot, und ich hoffe, auch Sienna
nicht. Vielleicht Mr. und Mrs.
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