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Weil sie sich liebten (German Edition)

Weil sie sich liebten (German Edition)

Titel: Weil sie sich liebten (German Edition)
Autoren: Anita Shreve
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sein könnten – Schüler,
denen er täglich in den Korridoren, in der Schulkantine und auf dem
Basketballplatz begegnete. Das ging ihm erst auf, als er das Gesicht des Jungen
sah, lustverzerrt und ziemlich grotesk für den unbeteiligten Beobachter. Rob , dachte er, und: Das kann nicht sein .
Der Rob, den er kannte, war ein höflicher, fleißiger Schüler und dazu ein hervorragender
Angreifer in der Basketball-Schulmannschaft. Hatte er, fragte er sich in diesem
Augenblick, während er noch Robs Gesicht beim Orgasmus vor sich hatte, die ihm
anvertrauten jungen Menschen immer nur so gesehen, als ausgezeichnete
Schüler oder talentierte Schauspieler, eingebildete Schleimer oder gute
Sportler? Dann wurde ihm jetzt deutlich gezeigt, wie irreführend solche
Etikettierungen waren. Er schien bisher nur Rob, das Kind, gesehen zu haben,
und nicht den heranwachsenden, sexuell interessierten Teenager, den ihm das
Band zeigte. Mike war wie erstarrt unter dem Ansturm neuer und erschreckender
Erkenntnisse.
    Das Mädchen nahm sich kaum Zeit zum Luftholen, ehe sie sich dem
anderen stehenden Jungen zuwandte, dessen Gesicht, beim ersten Kameraschwenk
nicht zu sehen, jetzt dafür umso deutlicher zu erkennen war. Es traf Mike wie
ein Schlag, er rief laut den Namen des Jungen – Silas!  –, bevor er aufstöhnte. Silas und das Mädchen legten sich auf den Boden, Silas
obenauf, und gingen ans Werk, konventionell, aber heftig. Der Körper des
Mädchens klatschte auf den Fußboden, auf dem leere Bierdosen herumlagen und der
jetzt ganz deutlich als der eines Wohnheimzimmers zu erkennen war. Mike schloss
die Augen, gerade diesem Jungen wollte er nicht beim Orgasmus zusehen. Als er
sie wieder öffnete, war die Kamera auf das Gesicht des Mädchens gerichtet, das
offenbar höchste Lust empfand oder dies sehr talentiert vortäuschte. Erst da bemerkte
er, dass das Mädchen sehr jung war – sehr, sehr jung: die Zahl vierzehn ging ihm durch den Kopf –, ihren Namen allerdings
kannte er damals noch nicht. Es war keineswegs ungewöhnlich, dass ein
Schulleiter nicht alle Schüler mit Namen kannte, schon gar nicht die in  den unteren Klassen, die sich noch nicht in
irgendeiner Weise hervorgetan hatten, und zu denen gehörte sie, wenn Mike nicht
alles täuschte. Unvermittelt fragte er sich, wie viele andere – Lehrer und
Schüler – das Band gesehen haben mochten. Es war der bis dahin schlimmste
Augenblick in seinem Leben. (Aber es sollte noch weit schlimmer kommen.)
    Er tastete nach der Kamera und drückte auf Pause .
Er fühlte sich elend und schwach, und die Brust war ihm so eng, dass er sich
die Hand aufs Herz presste, als fürchtete er einen Angina-Pectoris-Anfall. Wenn
er sich vorstellte, wer alles das Band vielleicht schon gesehen hatte, war ihm,
als setzte vorübergehend sein Herzschlag aus; in Wirklichkeit setzte
vorübergehend sein Gehirn aus, er konnte keinen einzigen klaren Gedanken mehr
fassen. Zu furchtbar waren die letzten gewesen und dazu von Bildern begleitet,
bei denen ihm augenblicklich Begriffe wie Polizei, Vergewaltigung,
Alkohol und Presse durch den Kopf geschossen
waren, lauter Dinge, mit denen kein Schulleiter zu tun haben wollte, ganz
gleich, in welchem Zusammenhang. Wichtig schien ihm, sich auf das Mädchen zu
konzentrieren, um zu erkennen, ob und inwieweit sie bei dieser – dieser Sache , deren Zeuge er hier wurde, freiwillig mitgemacht
hatte. Da er es nicht über sich brachte, zurückzuspulen und sich anzusehen, was
sich vorher abgespielt hatte, drückte er auf Play und
wünschte, er könnte das Geschehen verlangsamen, nicht etwa, um sich daran zu
delektieren – um Gottes willen, nein –, sondern um die Schwierigkeiten, die ihn
erwarteten, in ganzer Tragweite erfassen zu können. Um sich innerlich auf sie
einzustellen, sozusagen.
    Das Band begann wieder zu laufen, wieder war es ein Schock für ihn,
wieder zeigte es das Gesicht des Mädchens in Nahaufnahme. Bestürzt erkannte
Mike, wie jung sie tatsächlich noch war, so erfahren sie zuvor auch gewirkt
hatte (und in ihrer relativ überzeugenden Ekstase auch jetzt noch wirkte). Eine
Neuntklässlerin, Highschool im ersten Jahr, ohne Zweifel. Er meinte beinahe,
Gesicht und Körper in einem Sporttrikot vor sich zu sehen – Feldhockey?
Fußball? Jugendmannschaft? Drittes Team? – und war sicher, dass sie zu den
Internen gehörte und nicht zu den Externen wie Silas, der völlig ausgepumpt auf
dem Mädchen lag, das jetzt lächelte, tatsächlich lächelte. Ist
das nun ein
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