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Weil deine Augen ihn nicht sehen

Weil deine Augen ihn nicht sehen

Titel: Weil deine Augen ihn nicht sehen
Autoren: Mary Higgins Clark
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Treppe hinunter, durchquerten die Küche und huschten zum Hintereingang hinaus, ohne die Tür hinter sich zu schließen. Beim Transporter angekommen, hockte sich Harry auf den Boden vor der Hinterbank, beide Zwillinge fest in seine fleischigen Arme geschlossen. Bert setzte sich ans Steuer und startete. Mit ausgeschalteten Scheinwerfern tauchte der Wagen aus dem dunklen Schatten der Eingangsveranda hervor.
    Zwanzig Minuten später kamen sie beim Häuschen an, wo Angie Ames auf sie wartete. »Die sind ja richtig süß«, rief sie aus, als die Männer die Kinder hereintrugen und sie in das weiße Gitterbett legten, das für sie vorbereitet worden war. Mit flinken Bewegungen löste Angie die Knebel, mit
denen sie die kleinen Mädchen bis dahin ruhig gestellt hatten.
    Die Zwillinge klammerten sich aneinander und heulten los. »Mommy … Mommy«, schrien sie unisono.
    »Pssst, psssst, ihr braucht keine Angst zu haben«, sagte Angie beschwichtigend, während sie das Seitenteil des Bettes hinaufklappte. Es war zu hoch, als dass sie darüber hätte reichen können, daher steckte sie die Arme durch die Gitterstäbe und tätschelte die dunkelblonden Lockenköpfchen. »Es ist alles in Ordnung«, säuselte sie, »ihr könnt jetzt weiterschlafen. Kathy, Kelly, kommt, schlaft jetzt. Mona wird auf euch aufpassen. Mona hat euch lieb.«
    »Mona« war der Name, den sie benutzen sollte, wenn die Zwillinge in der Nähe waren. »Ich kann diesen Namen nicht ausstehen«, hatte sie sich beschwert, als sie ihr das mitgeteilt hatten. »Warum muss es unbedingt Mona sein?«
    »Weil es so ähnlich klingt wie ›Momma‹. Außerdem – wenn wir das Geld haben und die Zwillinge wieder zu Hause sind, wäre es nicht so gut, wenn sie allen erzählen, dass eine Frau namens Angie auf sie aufgepasst hat«, hatte sie der Mann, der sich Bert nannte, angeherrscht.
    »Sorg dafür, dass sie still sind«, befahl er jetzt. »Sie machen zu viel Lärm.«
    »Entspann dich, Bert. Hier kann sie keiner hören«, beruhigte ihn Harry.
    Er hat Recht, dachte Lucas Wohl, wie »Bert« mit richtigem Namen hieß. Einer der Gründe, weshalb er, nach reiflicher Überlegung, Clint Downes – wie »Harry« richtig hieß – mit ins Boot geholt hatte, war, dass Clint neun Monate im Jahr als Hausmeister in dem Häuschen auf dem Gelände des Danbury Country Club wohnte. Von Labor Day bis 31. Mai machte der Club Winterpause, die Zugänge waren abgesperrt. Von der Diensteinfahrt aus, durch die Clint auf das Gelände gelangte, war das Häuschen nicht einmal zu sehen, und er musste einen Code eingeben, um das Tor zu öffnen.

    Es war der ideale Ort, um die Zwillinge versteckt zu halten, und dazu kam noch die Tatsache, dass Clints Freundin Angie öfter als Babysitterin arbeitete.
    »Die werden schon aufhören zu weinen«, sagte Angie. »Ich kenne mich mit kleinen Kindern aus. Irgendwann werden sie schon wieder einschlafen.« Sie strich ihnen über den Rücken und sang ziemlich falsch dazu: »Zwei kleine Mädchen, in ihren blauen Kleidchen …«
    Lucas stieß einen leisen Fluch aus, zwängte sich durch den schmalen Gang, der zwischen Doppelbett und Kinderbett blieb, und verließ das Schlafzimmer, durchquerte das Wohnzimmer und betrat die Küche des Landhäuschens. Erst jetzt zogen er und Clint ihre Kapuzenjacken aus und streiften die Handschuhe ab. Eine volle Flasche Scotch und zwei Gläser standen schon auf dem Tisch bereit, um auf den erfolgreichen Abschluss der Unternehmung anzustoßen.
    Die beiden Männer setzten sich einander gegenüber und musterten sich schweigend. Lucas starrte seinen Kumpan voller Verachtung an. Wieder einmal dachte er, dass wohl kaum ein größerer Unterschied zwischen zwei Menschen denkbar war, und zwar sowohl, was ihr Äußeres betraf, als auch ihr Wesen. In Bezug auf sein eigenes Aussehen gab er sich keinen großen Illusionen hin. Wenn er als Augenzeuge hätte auftreten müssen, hätte er sich selbst folgendermaßen beschrieben: etwa fünfzig Jahre alt, schmächtig gebaut, durchschnittliche Größe, stark gelichtetes Haar, schmales Gesicht, eng zusammenstehende Augen. Er arbeitete als selbstständiger Mietchauffeur, und als solcher hatte er sich die äußere Erscheinung eines servilen Angestellten angeeignet, stets darauf bedacht, dem Kunden alles recht zu machen, eine Haltung, die er automatisch annahm, wenn er seine schwarze Chauffeuruniform anlegte.
    Er hatte Clint kennen gelernt, als sie zusammen im Gefängnis saßen, und im Lauf der letzten Jahre
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