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Weihnachtsgeschichten am Kamin 02

Weihnachtsgeschichten am Kamin 02

Titel: Weihnachtsgeschichten am Kamin 02
Autoren: Ursula Richter , Stubel,Wolf-Dieter
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würden.
    Als Vater sein Harzer-Käse-Geschenk auswickelte, war die Ursache des anrüchigen Duftes geklärt.
    Mutter ergriff die Initiative und sagte: «Ach, Vati, das ist aber eine große Weihnachtsfreude für dich; du möchtest den Käse sicherlich gleich zum Abendbrot essen, wo du ihn so gern magst!»
    War da nicht plötzlich ein süßsaures Lächeln, das über das Gesicht meines Vaters huschte?
    Und so opferte er sich am Heiligabend und aß zunächst den Käse statt der Würstchen, um den ominösen Duft aus dem Weihnachtszimmer zu verbannen.

    Helmut Johanning

Lokwechsel

    Heiligabend 1944. Zusammen mit etwa dreißig Kameraden befand ich mich als Soldat in einem ungeheizten Güterwagen. Ein Frontwechsel fand statt. Seit Tagen schon rollten wir von Osten nach Westen. In dieser Nacht durchfuhren wir unser Heimatland, es war ein eiskalter Wintertag. Die Stimmung hatte den Nullpunkt erreicht, jeder von uns hing seinen eigenen Gedanken nach und schwieg.
    Gegen 20 Uhr lief der Militärtransportzug in einen Güterbahnhof ein. Irgendeiner von uns öffnete die Schiebetür und gab lakonisch von sich: «Lokwechsel, kann schon was dauern.» Wegen der Kälte sprangen wir vom Waggon herunter, um uns durch Laufen zu erwärmen. Zusammen mit mehreren Soldaten stand ich in der Dunkelheit plötzlich vor einem Haus, in einer Straße neben dem Bahngelände. Wir lauschten unter dem Fenster und hörten Kinder- und Frauenstimmen Weihnachtslieder singen. Andächtig hörten wir diesen ungewohnten Klängen zu und kamen uns vor wie Diebe, die hier nichts zu suchen hatten. Ganz erstaunt guckten wir uns gegenseitig an, bis das Geräusch der ankoppelnden Lokomotive uns in die Wirklichkeit zurückrief. — «Scheißkrieg», hörte ich einen von uns fluchen, er war älter als wir anderen und hatte Frau und Kinder. Wortlos gingen wir zurück und kletterten in die Waggons. Bald darauf rollte der Zug weiter in die schwarze Nacht hinaus.
    Ich empfand ein unbekanntes Glücksgefühl nach diesem Erlebnis. Ich hatte in Deutschland deutsche Weihnachtslieder gehört, war zu Hause gewesen und doch nicht zu Hause — und dies nach vier Kriegsweihnachten an der Front.

    Gisela Meyer

Weihnachten 1948

    Es war ein Winter wie im Bilderbuch. Alles war zugeschneit, und der Frost ließ den Schnee unter den Schuhen knirschen. Der Vollmond erleuchtete die Nacht fast taghell und verzauberte die Welt mit unzähligen glitzernden Sternen.
    In dem kleinen Zimmer, das meine Eltern mit uns sechs Kindern teilen mußten, war seit Tagen eine sonderbare Unruhe. Bei uns Kindern war es die Vorfreude auf das nahe Weihnachtsfest. Aber bei den Eltern konnte ich keine Freude entdecken. Sie schienen mir traurig und bedrückt. Oft, wenn die Mutter glaubte, daß niemand es sah, wischte sie schnell ein paar Tränen fort. Auch der Vater, der sonst mit uns scherzte, war still und in sich gekehrt.
    So gingen die Tage hin, ohne daß sich irgend etwas änderte. Am Abend saßen wir Kinder, wie so oft, mit der Mutter vor dem flackernden Herdfeuer, das auch die einzige wärmende Stelle in der kleinen Wohnung war. Der Schein des Feuers fiel ins Zimmer und ließ mit viel Phantasie die tollsten Figuren erscheinen. Meist stimmte die Mutter dann ein Lied an, das wir Kinder mitsangen. Aber seit Tagen schwieg sie.
    So auch am Abend vor Weihnachten. Sie hatte wieder heimlich geweint, und ich hörte, wie sie leise zum Vater sagte: «In diesem Jahr lassen wir den Weihnachtsbaum lieber weg, dann ist die Enttäuschung bei den Kindern nicht so groß.»
    Denn es fehlte nicht nur an Geschenken, sondern auch an Essen und Trinken. An Süßigkeiten oder Zeug zum Anziehen war gar nicht zu denken. Wir Kinder machten uns da noch keine Sorgen, denn der Weihnachtsmann konnte ja alles, der würde schon alles bringen. Da, plötzlich war ein Geräusch am Fenster. Alles war mucksmäuschenstill. Da, wieder. Irgend etwas schlug von draußen gegen die Fensterscheibe, Da, noch mal. Wir Kinder saßen wie gebannt, keiner rührte sich, alle starrten zum Fenster. Was war das bloß? Sollte etwa doch der Weihnachtsmann...?
    Aber die Mutter dachte nur an Dummejungenstreiche und bat den Vater, er möge doch den Spuk beenden, um bei den Kindern keine falsche Hoffnung zu erwecken. Der Vater zündete die Petroleumlampe an, um der Sache auf den Grund zu gehen. Wir Kinder rutschten voller Angst und Mißtrauen auf die Eckbank hinter den Tisch und drängten uns eng zusammen. Mit großen Augen starrten wir nun zur Tür, denn inzwischen
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