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Weihnachten mit Maigret

Weihnachten mit Maigret

Titel: Weihnachten mit Maigret
Autoren: Georges Simenon
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über im Haus sein. Ich muss einkaufen, auf den Markt gehen...«
    »Ich verstehe. Colette ist Waise, nicht wahr?«
    »Ihre Mutter ist tot.«
    »Ihr Vater lebt also noch? Wo ist er? Wie heißt er?«
    »Er ist der Bruder meines Mannes, Paul Martin. Wo er allerdings ist...«
    Sie machte eine unbestimmte Handbewegung.
    »Wann haben Sie ihn das letzte Mal gesehen?«
    »Das ist jetzt mehr als einen Monat her. Es war in der Zeit um Allerheiligen herum. Er beendete gerade eine mehrtägige Klausur.«
    »Pardon?«
    Sie antwortete etwas ungehalten:
    »Da wir jetzt ohnehin in unserer Familiengeschichte herumwühlen, kann ich Ihnen das auch sofort erzählen.«
    Man merkte, dass sie Mademoiselle Doncœur böse war, die sie für die Situation verantwortlich machte.
    »Der Lebenswandel meines Schwagers ist, vor allem seit dem Tod seiner Frau, nicht mehr einwandfrei.«
    »Was wollen Sie damit genau sagen?«
    »Er trinkt. Er hat schon vorher getrunken, aber nicht so übermäßig und nicht derart, dass er deswegen Dummheiten machte. Er arbeitete regelmäßig. Er hatte sogar eine ziemlich gute Stellung in einem Möbelgeschäft am Faubourg Saint-Antoine. Seit dem Unfall...«
    »Sie meinen den Unfall seiner Tochter?«
    »Ich spreche von dem Unfall, der zum Tod seiner Frau geführt hat. An einem Sonntag hatte er sich in den Kopf gesetzt, das Auto eines Kollegen zu leihen, um mit seiner Frau und dem Kind aufs Land zu fahren. Colette war noch ganz klein.«
    »Wann genau war das?«
    »Vor ungefähr drei Jahren. Sie fuhren zum Essen in ein Ausflugslokal in der Nähe von Mantes-la-Jolie. Paul konnte sich nicht zurückhalten und trank Weißwein, und der ist ihm zu Kopf gestiegen. Auf der Rückfahrt nach Paris sang er aus vollem Halse. Der Unfall ereignete sich nahe der Brücke von Bougival. Seine Frau war sofort tot. Er selbst erlitt einen Schädelbasisbruch, und es ist ein Wunder, dass er noch lebt. Colette blieb dabei unverletzt. Seitdem ist er nicht mehr sich selbst. Wir haben die Kleine zu uns genommen. Wir haben sie praktisch adoptiert. Von Zeit zu Zeit besucht er sie, aber nur, wenn er mehr oder weniger nüchtern ist. Danach trinkt er gleich wieder weiter...«
    »Wissen Sie, wo er sich aufhält?«
    Eine unbestimmte Geste.
    »Überall. Einmal sahen wir ihn an der Bastille, wie einen Bettler. Er konnte kaum gehen. Manchmal verkauft er auf der Straße Zeitungen. Ich erzähle das vor Mademoiselle Doncœur, weil leider das ganze Haus darüber Bescheid weiß.«
    »Glauben Sie nicht, dass es ihm in den Sinn gekom men sein könnte, sich als Weihnachtsmann zu verkleiden, um seine Tochter zu besuchen?«
    »Genau das habe ich gleich zu Mademoiselle Doncœur gesagt. Sie hat trotzdem darauf bestanden, mit Ihnen darüber zu sprechen.«
    »Weil er keinen Grund gehabt hätte, Fußbodendielen hochzuheben«, gab diese etwas spitz zurück.
    »Wer weiß, ob Ihr Mann nicht früher als vorgesehen nach Paris zurückgekommen ist, und ob...«
    »Irgend sowas wird es sicher sein. Mich beunruhigt das auch nicht. Wäre Mademoiselle Doncœur nicht gewesen ...«
    Schon wieder! Sie hatte den Boulevard sicher nicht aus freien Stücken überquert!
    »Können Sie mir sagen, in welchem Hotel Ihr Mann aller Wahrscheinlichkeit nach abgestiegen ist?«
    »Im >Hôtel de Bordeaux<, in Bergerac.«
    »Haben Sie nicht daran gedacht, ihn anzurufen?«
    »In unserem Haus haben nur die Leute in der ersten Etage ein Telefon, und die lassen sich nicht gerne stören.«
    »Hätten Sie etwas dagegen, wenn ich im >Hotel de Bordeaux< anriefe?«
    Sie willigte zunächst ein, zögerte dann jedoch:
    »Er wird sich fragen, ob etwas passiert ist.«
    »Sie können selbst mit ihm sprechen.«
    »Gewöhnlich rufe ich ihn nicht an.«
    »Sie möchten lieber im Ungewissen bleiben?«
    »Nein. Wie Sie meinen. Ich werde mit ihm sprechen.«
    Er nahm den Hörer ab und meldete das Gespräch an. Zehn Minuten später war er mit dem >Hotel de Bordeaux< verbunden. Er reichte Madame Martin den Hörer.
    »Hallo! Ich möchte mit Monsieur Martin sprechen, bitte... Monsieur Jean Martin, ja... Das macht nichts... Wecken Sie ihn...«
    Sie erklärte, die Hand auf der Hörmuschel:
    »Er schläft noch. Man holt ihn.«
    Sie legte sich offensichtlich die Worte zurecht. »Hallo! Bist du’s? ... Wie bitte? ... Ja. Fröhliche Weihnachten! ... Es ist alles in Ordnung, ja... Colette geht es sehr gut... Nein, ich rufe dich nicht nur deswegen an... Aber nein! Nichts Unangenehmes, mach dir keine Sorgen...«
    »Sie wiederholte die
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