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Weichei: Roman (German Edition)

Weichei: Roman (German Edition)

Titel: Weichei: Roman (German Edition)
Autoren: Tim Boltz
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haben ja recht. Die Kugel muss ins Tor. Aber wie erreicht man das am besten?«
    »Na ja, ich hab mal gehört, dass man beim Fußball die Kugel mithilfe seiner Füße spielen darf. Aber nageln Sie mich nicht darauf fest.«
    »Sehr witzig.« Das Männlein nickt. »Nun, das ist mir durchaus bewusst.« Pause. Dann zieht der Dan Brown des Fußballs erneut den Geheimnisvolljoker. »Verstehen Sie, was ich meine? Wie kann ich diesen an sich einfachen Sachverhalt als Spieler am einfachsten umsetzen?«
    »Ich halte es kaum noch aus. Erklären Sie es mir.«
    »Suggestive Vorstellungskraft.«
    Jetzt mache ich eine geistige Pause, und Doktor Freud setzt nach.
    »Stellen Sie sich den Ball als lebendes Individuum vor.«
    »Lebendes Individuum? Der Ball?«
    »Ja, genau der. Der Ball wird eineinhalb Stunden lang mit Füßen getreten. Wie würden Sie sich damit fühlen? Was wäre ihre menschliche Reaktion?«
    Langsam mach ich mir etwas Sorgen um den Mann. Und vor allem um mein Team. Wenn die sich jeden Tag so eine Kacke anhören müssen, gewinnen die dieses Jahr kein Spiel mehr. Also versuche ich, den Mentaltrainer vorsichtig zurück ins irdische Leben zu geleiten.
    »Sie wissen aber schon, dass der Ball nichts fühlt, oder?«
    »Sind Sie sich da so sicher?«
    »Habe jedenfalls noch nie von einem Ball gehört, der sich um einen neuen Job bemüht hätte.«
    »Das runde Leder als solches möchte zurück in sein natürliches Zuhause. Was ist das wohl?«
    Ich bin fasziniert, und außerdem glaube ich, die richtige Antwort zu kennen.
    »Das Tor.«
    »Gut, sehr gut! Ganz genau. Der Ball möchte nach Hause zurückkehren. Also muss ein guter Spieler nur seine Meridiane in fließenden Einklang bringen, um ihm diesen Wunsch erfüllen zu können. Den Ball ins Tor bringen.«
    Ich stelle mir die Frage, ob Anthony Yeboah jemals seine Meridiane in fließenden Einklang brachte, bevor er die Kugel aus zwanzig Metern mit Vollspann in den Winkel geballert hat.
    »Und Sie denken, das funktioniert?«
    »Natürlich. Ich vermittele den Spielern die Gewissheit,
dass sie dem Ball alles für seine Heimreise gepackt haben. Er hat alles an Bord. Er geht nicht im Groll. Nein, er geht in Frieden und Freundschaft.«
    Der Typ hat echt ein Rad ab. Aber ich muss zugeben, dass ich Spaß daran gefunden habe.
    »Und wenn die Scheißkugel nicht reingeht, sondern Richtung Eckfahne fliegt? Was war dann los mit Ihrem Reisebeispiel? Kein Navi im Rucksack gehabt?«
    »Dann nimmt man den Ball erneut als Freund zu sich auf, begleitet ihn und führt ihn wieder auf den rechten Weg.«
    »Und das alles sollen die Spieler bedenken, wenn der Gegner dabei ist, sie über die Tartanbahn zu treten?«
    »Ja. Das ist meine Aufgabe.«
    »Warum haben wir dann heute erst mal achtzig Minuten niemanden in sein natürliches Zuhause schicken können? Außerdem sah mir der gegnerische Stürmer bei seinem Tor nicht so aus, als ob ihm viel an der Freundschaft zu einem Lederball läge. Und trotzdem hat er getroffen.«
    »Na ja.« Pause. »So kann man es natürlich auch machen.«
    Der Guru dreht sich ohne weitere Worte ab, greift sich seine Saftschorle und geht.
    So kann man es natürlich auch machen? Ist das die Antwort? Und dafür bekommt der Typ Tausende Euro und ein Team-Poloshirt?
    Ich widme mich wieder meiner Aufgabe, das Bier in sein natürliches Zuhause zu befördern, und kippe das nächste Glas in einem Zug runter. Gute Reise, murmele ich und versuche, meine Meridiane zu erfühlen. Doch außer dem Blasenmeridian spüre ich keine nennenswerte Reaktion auf meinen Bierkonsum. Enttäuscht scanne ich den Raum nach Jana ab. Alles, was ich sehe, ist jedoch der Botoxjunkie aus der Sponsorenbox. Wieder lacht dieser affektierte Vollproll sein Gebiss
frei, als habe man ihm bei der letzten Beauty-OP versehentlich ein Rundum-Lächeln in seine pergamentdünne Gesichtshaut geflext. Bei jedem zum Scheitern verurteilten Versuch, ein Lächeln auf seine Fratze zu zaubern, hat man unweigerlich Angst, die Mundwinkel könnten jeden Moment einreißen und der Schädel wie ein losgelassener Luftballon mit Furzlauten durch den Raum schwirren. Demzufolge ist das auch gar kein echter Labello, sondern ein getarnter Brittstift zum Kleben und Nachfixieren von Häuptling Fletschender Zahns Wangenknochen.
    Nach dem dritten Bier tippt mich erneut jemand von hinten an und fragt, ob ich ihm mal drei Bier bestellen könnte. Mann, Mentalguru, geh mir nicht auf den Sack. Ich habe keinen Bock auf weitere Reisebeschreibungen eines
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