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Weichei: Roman (German Edition)

Weichei: Roman (German Edition)

Titel: Weichei: Roman (German Edition)
Autoren: Tim Boltz
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gleicht Frankfurt kurz vor Schluss noch
aus und sichert sich damit einen nicht mehr für möglich gehaltenen Punkt gegen die Fischköppe. Bei jedem Tor liegen wir uns wie zwei Teenager in den Armen und jubeln, als hätten Bernd Hölzenbein und Jürgen Grabowski wieder den UEFA-Cup geholt. Beim Abpfiff greift sich Jana meinen Arm und schaut mich zufrieden an.
    »Sag mal, Robert, hast du vielleicht Lust, noch mit in den Spielertrakt zu gehen?«
    »Wie meinst du das?«
    »Na ja, ich kenn da noch den ein oder anderen. Die lassen uns bestimmt rein.«
    Ich überlege für eine achtel Millisekunde und nicke dann aufgeregt wie ein Sechsjähriger am Einschulungstag. Die Spieler und ich, eng vereint wie nie zuvor.
    Und tatsächlich kommen wir ganz ohne Bändchen durch die Kontrollen. Dafür aber mit vielen Küsschen links und rechts von Jana. Sie scheint hier wirklich jeden zu kennen. Präsident, Sponsoren, Spieler. Ständig hängt irgendjemand an Janas Seite, und ich frage mich, wie sie als Tochter des Therapeuten so einen bleibenden Eindruck hinterlassen konnte. Ein neues Gefühl steigt in mir auf, das ich eigentlich nicht spüren sollte. Eifersucht.
    Zuerst winkt mir Jana noch von Weitem zu, dann verliere ich sie aus den Augen und widme mich dem Freibier. Nach jedem weiteren Bier finde ich jeden einzelnen dieser VIP-Leute immer bescheuerter. Jeder zweite meint, er sei der Gipfel der menschlichen Evolution und müsse wichtige Grimassen schneiden. Besonders einer der Sponsoren stellt sich hier als schwarzes menschliches Wurmloch heraus. Ich schätze ihn auf Mitte vierzig, könnte aber auch achtzehn oder vierundsechzig sein. Neben seinem Tick, sich ständig die Lippen mit einem Fettstift einzukleistern, scheint er ansonsten das Zentrum
dieser Veranstaltung zu sein. Selbst von meinem einige Schritte entfernten Standpunkt aus kann ich die Eingriffe seiner Gesichts-OP erkennen, die ihm nur seltsam verzerrte Mimiken erlauben. Ein Gesicht wie eine Halloweenmaske.
    »Tschuldigung, darf ich mal durch?« Eine hagere Gestalt drängt sich an mir vorbei zum Tresen. Eine kreisrunde Reinhard-May-Gedächtnisbrille reitet auf seinen Nasenflügeln und zoomt seine Augäpfel zu zwei mandarinengroßen Bowlingkugeln. Die beiden dickwandigen Gläser würden in jeder Zigarrenlounge als erstklassige Aschenbecher dienen und lassen auf der nach oben offenen Dioptrienskala keine Grenzen erkennen. Dazu trägt er allerdings eines der offiziellen Team-Poloshirts mit dem Adler auf der Brust.
    Haben die im Vorstand jetzt endgültig nicht mehr alle Tassen im Schrank? Die werden doch nicht so eine Blindschleiche als neuen Spieler verpflichtet haben? Ne, das kann nicht sein. Das darf nicht sein!
    Mein Alkoholpegel hat mit dem letzten Schluck dankenswerterweise gerade eben die Hemmschwelle für dumme Fragen überschritten, und es fällt mir nicht schwer, meine Neugier zu befriedigen.
    »Spieler? Sind Sie ein neuer Spieler?«
    Der sprechende Aschenbecher dreht sich zeitlupenhaft zu mir um und schaut mich dabei sparsam an.
    »Danke. Danke für das Kompliment.« Seine Worte klingen wohlgewählt, samtweich und flauschig. Sofort bekomme ich Lust, mich auf eine Couch zu legen. Nach einer kurzen Pause spricht er ebenso soft weiter. »Aber nein, ich bin Mentaltrainer und ganz neu im Team.«
    »Mentaltrainer?«
    »Ja.« Es folgt eine Pause, die gefühlte fünf Minuten dauert. Ich trinke derweil einen großen Schluck und frage mich
dabei, ob er noch mal aus seinem Stand-by-Modus zurückkehren wird. »Ich versuche, den Spielern neue Wege aufzuzeigen.«
    Ah, da isser wieder. Beruhigt darüber, keinen Hirntod provoziert zu haben, schiebe ich einen vermeintlichen Lacher hinterher.
    »Mir würde es schon genügen, wenn die Jungs ab und an mal den direkten Weg zum Tor finden könnten.«
    »Ja. Verstehe.« Pause  – und wieder sammelt die Körperhülse Energie, um den Satz zu Ende zu bringen. »Aber es steckt mehr dahinter.« Kurze Pause. »Viel mehr.«
    So geheimnisvoll, wie er tut, könnte man meinen, dass Fußball auch die Auflösung zum Kennedyattentat in sich birgt oder sich die Vatikanische Bibliothek unterhalb des gegnerischen Fünfmeterraums befindet.
    »Aber es geht doch einfach nur darum, die Kugel ins Tor zu kriegen, oder etwa nicht?«
    »In Ihrem laienhaften Verständnis vielleicht.«
    Vorsicht, Doktor Freud. Ich habe Alkohol getrunken und bin mies drauf. Noch so ein Spruch, und ich hau dir mal laienhaft eins auf die Fresse.
    »Verstehen Sie mich nicht falsch. Sie
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