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Weichei: Roman (German Edition)

Weichei: Roman (German Edition)

Titel: Weichei: Roman (German Edition)
Autoren: Tim Boltz
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Wirkungstreffer
erzielt. Ich trinke das Glas aus, will mir schließlich nichts nachsagen lassen und glaube jetzt nun tatsächlich die florale Nuance einer wilden Buchsbaumhecke herauszuschmecken.
    Der ging gut runter: zehn Punkte.
    Na bitte, wird ja langsam. Allerdings wird noch was anderes langsam, nämlich ich, und zwar voll. Merke: Leerer Magen und Wein  – eine tödliche Mischung.
    Und schon schnürt mein Freund Jean wieder heran, um die Gläser zu füllen. Der Junge gefällt mir …
    Als ich ihn aber zu mir winke, ihm freundschaftlich den Arm um die Schultern lege und ihm ins Ohr säusele, dass ich gerne noch einen Nachschlag von diesem Blaubeerwein hätte, weil der zwar lecker, aber bei mir hinten raus deutlich zu schnell abgeklungen ist, schaut er mich verdutzt an und schüttelt verständnislos den Kopf. Stattdessen stellt er mir ein Glas Rotwein bereit.
    »Jaaaa, ss geht auch.« Ich winke lächelnd ab und tätschele meinem besten Freund Jean die Wange.
    Jetzt kommt meine große Stunde. Ich bin mit der Bewertung des letzten Weins dran. Mein geliebter Bruder Jean schenkt auch dem Rest der illustren Runde ein, und ich blinzele ihm vielsagend zu. Ja, der Jean eieieieieieeiei …
    Ich glaube zwar nicht, dass ausgerechnet jetzt, in der letzten Runde, die Gläser dreckig sind, prüfe es aber trotzdem gewissenhaft mit dem bekannten Blick. Neee, nix!
    Dann die Nase rein, und ich inhaliere das Glas beinahe komplett weg. Im Übermut tunke ich dabei versehentlich meine Nasenspitze in den Wein, was mich aber nicht weiter stört, jedoch für eine gewisse Irritation unter den Gästen sorgt. Meine Mitstreiter bekommen davon wenig mit, da sie ja mit ihrem eigenen Wein beschäftigt sind.
    Schließlich das erste Schlückchen und ein wenig süffeln.
Sauerstoff soll ja gut sein. Und wenn die sich schon alle so benehmen, um mehr Luft an den Stoff zu bekommen und dafür sogar noch Beifall erhalten, kann ich das schon lange. Und ich liebe Applaus. Also: Was soll’s, denke ich mir, lege den Kopf in den Nacken und beginne damit, den Wein kehlig zu gurgeln. Jetzt habe ich nicht nur eine Menge verbindungswilligen Sauerstoff am Wein, sondern auch die ungeteilte Aufmerksamkeit meiner Mitstreiter sowie des kompletten Publikums. Sie scheinen geradezu gebannt auf meine Meinung zu warten. Die sollen sie haben.
    Ich schaue in die Runde und zwinkere Jean erneut zu. Ich glaube, er mag mich, zumindest schaut er mich aus großen Augen an. Nur der Applaus bleibt irgendwie bisher aus. Okay, verstehe: Ihr wollt mehr? Ihr bekommt mehr! Ich atme noch mal tief durch und beginne meine fachmännische Bewertung.
    »Bin mir da noch nich so gaaanz sicher«, lalle ich und kippe mir den Rest des Weins gierig in den Mund, dass es mir links und rechts die Mundwinkel herunterläuft.
    »Also …«, beginne ich erneut. »Dieser Tripfen trofft … dieser Tropfen trifft auf meine Gaumenrezeptoren mit der vrollen Fucht, vollen Frucht von siebzehn Kilo Aprikosen und ’nem kompletten Strauch Brombeeren. Er besitzt die Kraft eines ukrainischen Atomkraftwerks und außerdem … hicks … ragt das Weinchen weit in den Rachen hinab und lässt sich dort mir der Würde einer achtköpfigen Adelsfamilie bei ’ner Papstaudienz nieder. Mit diesem Jahrgang ist man schell … schnell perdu. Volle zehn Punkte und keinen weniger!«
    Ich finde meine kleine Weinkunde ausgesprochen passend und stimmig. Und das eigentlich Erstaunliche daran, das finden die anderen Beteiligten wohl auch, denn sie nicken mir großmütig zu. Und tatsächlich: Applaus! Zunächst verhalten, dann aber fast frenetisch. Ich stehe spontan auf und verneige
mich vor dem dankbaren Publikum. Und endlich lächelt auch Jean zurück… ich fühle mich aufgenommen. Da sage noch einer, Wein verbinde nicht.
    Ich habe zwar weder Jana meine Lügengeschichte beichten können, noch habe ich den Titel des Weinkönigs gewonnen, aber als wir nach einigen weiteren Gläschen das Destino wieder verlassen, denke ich noch, dass ich vielleicht in Zukunft tatsächlich des Öfteren mal eher zu einem Gläschen Wein als zu einem Bier greifen sollte. Als ich später in der Nacht wach werde und ins Bad taumele, revidiere ich diese Meinung jedoch wieder.
    Aber etwas anderes wird mir schlagartig klar: nämlich, dass nun alles Sinn ergibt. Jetzt verstehe ich das ganze Geschwafel. Meine neuen Weinfreunde hatten mit allem recht. Nur haben sie nicht den Zustand beim , sondern nach dem Trinken beschrieben. Jetzt schmecke und empfinde
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