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Weiberabend: Roman (German Edition)

Weiberabend: Roman (German Edition)

Titel: Weiberabend: Roman (German Edition)
Autoren: Joanne Fedler
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sich nur genug Mühe gibt. Und Mühe gibt sie sich, sie liest und recherchiert mit unendlicher Geduld, bis sie die Lösung oder das Heilmittel am Haken hat.
    Tam hat aus ihren Kindern praktisch einen Beruf gemacht. Sie ist zwar ausgebildete Heilpädagogin (und war eine verdammt gute, nach allem, was man so hört), hat jetzt aber einen erbärmlichen, unbedeutenden Job als Büroangestellte bei einer kleinen Buchhaltungssoftware-Firma in der Stadt. Sie gibt bereitwillig zu, dass ihre Arbeit langweilig ist und sie nur ein Minimum ihrer Gehirnkapazität dabei einsetzen kann, aber die Arbeitszeiten sind ja so praktisch – sie kann die Kinder zur Schule fahren und abholen. Ganz ohne Stress. Und über diese Stunden im Büro hinaus verlangt ihr der Job keinerlei Zeit oder Energie ab. Das ist auch besser so, denn das meiste davon geht beim Naturheilpraktiker, der Kinesiologin und all den anderen alternativen Ärzten drauf, deren Praxen sie tatkräftig unterstützt, indem sie sie wegen allem aufsucht, von einem schlechten Traum bis hin zu einer ausgewachsenen Lungenentzündung. Wir übrigen halten uns einfach sorgfältig an den Impfplan, den man vom Kinderarzt bekommt, und knallen unseren Kindern Antibiotika rein, wenn der Arzt sie verordnet. Nicht so Tam. Es ist faszinierend, wie vielfältig sich mangelndes Vertrauen in andere Menschen äußert – Tam glaubt niemandem einfach so, und wenn er vier akademische Titel vor dem Namen stehen hat. Sie erforscht jedes Thema, auf das sie als Mutter stößt, selbst, und bildet sich dann eine eigene Meinung. Dafür gebührt ihr wirklich Hochachtung. Ich hingegen bin einfach nur müde dankbar, wenn jemand im weißen Kittel mir sagt, was »in diesem Fall das Richtige« ist. Ich will es nur irgendwie erledigt haben. Es auch noch unbedingt richtig machen zu wollen, ist etwas für Leute, die sonst nichts zu tun haben.
    An manchen Tagen, wenn mir das Muttersein einfach zu schwer vorkommt, tröste ich mich damit, dass ich schließlich Anfängerin bin. Ich wurde in diesen Job hineingeworfen, ohne Ausbildung, Seminare oder eine einzige bestandene Prüfung. Ich habe kein Mutterschaftsdiplom. Wenn man daran denkt, wie gründlich potenzielle Adoptiveltern unter die Lupe genommen werden – alles, von ihren Körperpflege-gewohnheiten bis hin zu ihren Ansichten über körperliche Züchtigung, kann dem Okay der Behörden im Wege stehen –, kommen diejenigen von uns, die unbekümmert vom Petting zur Dilatation des Geburtskanals voranschlendern, noch geradezu leicht davon. Ich bin nicht dafür, künftige Eltern einem verpflichtenden Test zu unterziehen. Auf der anderen Seite kann man kaum leugnen, dass einige von uns viel zu neurotisch und kaputt sind, um sich vermehren zu dürfen. Manche von uns bekommen ja kaum das eigene Leben auf die Reihe, von Verantwortung für andere Menschen ganz zu schweigen.
    Tam jedoch hat zweifellos ihr Diplom als Mutter erworben und sich zudem auf richtige Ernährung, Immunisierung, Erziehung und Sozialisation spezialisiert. Ständig steckt sie die Nase in ein Buch, forscht in der Bibliothek oder im Internet, durchkämmt alles nach den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen und hat es geschafft, das Mäntelchen der Mutterschaft zu einem wahren Prachtgewand in Technicolor auszuschmücken. Ungefragt hält sie Vorträge über die jüngsten Theorien zu Disziplin, Sensibilität, emotionalem Wohlergehen, Gehirnentwicklung, ADHS, kindlichem Übergewicht und der Frage, wie man effektiv Grenzen setzt.
    Ich höre ihr immer zu, obwohl sich mir innerlich bei diesem leicht überheblichen Tonfall, den sie dann anschlägt, die Haare sträuben. Wenn man ihren Vortrag in seine semantischen Bestandteile zerlegen würde, käme dabei heraus, dass sie uns für einen Haufen Versager hält, was die bestmögliche Förderung unserer Kinder angeht. Unserer Art der Kindererziehung – geistesabwesend, zwischen Tür und Angel, immer nur reagierend – begegnet sie stets mit leiser Kritik. In meinen persönlich weniger gereiften Momenten denke ich mir dann aber: »Hey, ich füttere meine Kinder vielleicht mit Zeug von McDonald’s und werde manchmal laut, aber wer von uns hat hier einen Bettnässer zu Hause? Hm? Ich nicht.«
    Anscheinend kommt es recht häufig vor, dass Jungen mit sieben Jahren nachts noch ins Bett pieseln. Behauptet jedenfalls die Forschung. Aber Helens Ansicht nach ist Michael ein »regressives Muttersöhnchen, das am liebsten noch gewickelt werden möchte«. Da er durch seine
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