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Watschenbaum: Roman einer Kindheit (German Edition)

Watschenbaum: Roman einer Kindheit (German Edition)

Titel: Watschenbaum: Roman einer Kindheit (German Edition)
Autoren: Egon Günther
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Gesellschaft betont jovial zu geben pflegt. Brav auf den Fuß folgt ihm ein alter zottelig-schwarzer Hirtenhund, den er Tyras ruft. Wenn Cornelius Schluckauf hat, gilt sein erster Gedanke meist dem Herrn Klein, denn ein altes, angeblich probates Hausmittel gegen Schluckauf besteht darin, sich mindestens dreier Menschen zu entsinnen, deren Kopf eine möglichst vollkommene Glatze schmückt.
    Herr Klein ist ein pensionierter Beamter, der alle Tage der Gartensaison, in kurzen Hosen steckend, in einem gleich hinter der Häuserreihe gelegenen, immer ordentlich in Schuss gehaltenen Schrebergarten zubringt, in dessen Beeten mit der Messlatte exakt aufgereihte Salatköpfe salutieren, Bohnenstangen ordentlich Spalier stehen und gigantische Rettiche wurzeln. Jeden, der zufällig des Weges kommt und genug Muße für das Anhören seiner unerschöpflichen Tiraden erübrigen kann, zieht er gleich ins Vertrauen und macht den bedauernswerten Opfern anhand von wahllosen, aus der Zeitung gegriffenen Beispielen über den Staketenzaun hinweg klar, wie wirr und verwerflich die vom allgemeinen Sittenverfall betroffene Gegenwart ist, ein übel riechender, alles in sein Verderben ziehender Morast. Wie die Blechnerin gehört er zu der Sorte Mensch, die so ungeheuer rechtschaffen ist, dass sich ihr das Universum als eine einzige, wirre Abweichung darstellt.
    Früher, unter einem gewissen Herrn Hitler, habe es das alles nicht gegeben, pflegt der abgehalfterte Bürohengst dann abschließend zu sagen, nachdem er zuvor ausgiebig auf von »Amiflitscherln« produzierte farbige Besatzungskinder, einen in der Nachbarschaft verübten Diebstahl oder eine Schlägerei, gar eine Messerstecherei unter italienischen Arbeitern zu sprechen gekommen war. Letztere werden von ihm stets abfällig »Itaker«, des Öfteren auch »Katzelmacher« genannt und hausen, dem Vernehmen nach, am anderen Isarufer in unreinen, schäbigen Baracken.
    Cornelius kennt allerdings nur die adretten, allzeit wie aus dem Ei gepellt wirkenden Kinder einer im Viertel hoch angesehenen italienischen Familie, die eine Importfirma betreibt und in der nahe gelegenen Großmarkthalle mit Südfrüchten handelt. Italienische Restaurants sind vorerst rar, allfällige Reisen zum Gardasee oder an die Adria liegen noch in der Zukunft, und bis Schwerarbeiter aus weit entlegenen, archaischen Gefilden, über deren fremdartiges Gebaren sich ein in Würde alternder deutscher Herrenmensch und Gartenzwerg ebenfalls prächtig aufregen könnte, scharenweise ins Land und an die Werkbänke kommen werden, muss noch einiges an Wasser die Isar herunterfließen.
    Wert und Tapferkeit italienischer Soldaten beurteilt Herr Klein unerbittlich schlecht: Erstens hätten sie im Krieg nicht viel getaugt, und zweitens seien sie, weil sie Deutschen wie Österreichern heimtückisch in den Rücken fielen, treulose Tomaten gewesen.
    Damals, unter dem Hitler, sagt Herr Klein, habe ein ehrbarer Bürger getrost alle Türen sperrangelweit offen stehen lassen können, ohne dass auch nur das Geringste weggekommen sei, und eine Jungfrau konnte, mit ihren Juwelen klimpernd und mit kostbaren Perlenketten behängt, durch sämtliche verrufenen Glasscherbenviertel der Stadt spazieren, selbst und gerade des Nachts, ohne dass irgendein dahergelaufener Lump auch nur im entferntesten daran gedacht hätte, sie zu berauben oder ihr sonst ein Haar zu krümmen. Es sei eben damals eine Zeit gewesen, in der noch Zucht und Ordnung herrschten. Das gesamte diebische und arbeitsscheue Gesindel, betont Herr Klein und nickt Cornelius dabei mit ernster Miene zu, habe jener Hitler nämlich aus dem Weg geräumt und nach Dachau ins KZ gesteckt, wo es zum eigenen Besten lernen konnte, was hierzulande rechtschaffene Arbeit heißt. Freilich, das mit den Juden, das sei ein Fehler gewesen, das mit den Juden, das hätte der Hitler lieber nicht machen sollen.
    Früher seien die Kinder im Übrigen auch nicht so anspruchsvoll gewesen wie heute. Da sei ein Junge schon mal um einen Groschen bis auf die Schwanthaler Höhe gelaufen, aber heute bekämen die vermaledeiten Lausbuben ja alles umsonst hineingeschoben, ohne dass sie sich um ein Fünferl anstrengen oder gar dafür bedanken müssten. Früher wäre einer nämlich froh gewesen, wenn er nur ein einfaches Fahrrad gehabt hätte, bemerkt Herr Klein mit einem scheelen Seitenblick auf das dreigängige Zweirad des Jungen, das ihm sein Onkel bei einer Verlosung herrenloser Fahrräder besorgt hat. Früher sei man halt auch
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