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Watschenbaum: Roman einer Kindheit (German Edition)

Watschenbaum: Roman einer Kindheit (German Edition)

Titel: Watschenbaum: Roman einer Kindheit (German Edition)
Autoren: Egon Günther
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worauf es später eine kleine sammlung von spielzeugautos und gummifiguren manövriert als tauschobjekte begehrte indianerkrieger und trapperfiguren aus heinerles wundertüte unförmige pranken packen den leib der erjagten beute seitwärts gekehrte tieraugen sind erstarrt in stummer qual
    Fensterhocker, alte verbrauchte Ehepaare, die Ellenbogen auf weiche Kissen gestützt, die Arme verschränkt, starren tagaus tagein auf die Gasse hinunter, beobachten voller Misstrauen den mit dunklen Backsteinen gepflasterten Gehsteig, rucken mit den Köpfen, sobald wer um die Ecke biegt. Lange noch blicken sie von ihrer Brüstung dem zufällig vorbeischlendernden Passanten nach, der unfreiwillig ein wenig Abwechslung, womöglich sogar kargen Gesprächsstoff in ihre eintönige Welt getragen hat. Sie ähneln triefäugigen, mürrischen Vögeln, denen einst die Flügel gestutzt worden sind, aber fragte sie jemand auf den Kopf zu, ob sie unglücklich seien, würden sie dies mit Entschiedenheit verneinen. Ein paar Wohnblocks entfernt notiert ein von heillosen Zwangsvorstellungen besessener Rentner, dem die Welt aus den Fugen geraten ist, von seinem Fenster aus die tatsächlichen An- und Abfahrtzeiten der Trambahn und vergleicht sie in allumfassender Pedanterie mit dem gedruckten Fahrplan. Jeder Abweichung abhold, lässt er bei der geringsten Verspätung im nächsten Polizeirevier das Telefon klingeln.
    Der schlichte, überaus devote Hausmeister von nebenan hat sich in den Sonntagsstaat geworfen, voller Stolz und vor lauter Glück strahlend sitzt er nun in selbstgefälliger Fahrerpose hinter dem Steuer des auf Abzahlung gekauften funkelnagelneuen Kleinwagens, seine Frau harrt duldsam an seiner Seite aus, adrett ausstaffiert, in getüpfeltem Kleid und blütenweißen Seidenhandschuhen, klammert sie sich steif an den Bügel des schwarzen Lacktäschchens, das sie auf eng aneinandergepressten Knien abgestellt hat. Der Sprössling kauert derweil auf dem Rücksitz, hält ebenfalls Maulaffen feil, drückt aber ab und an sein gelangweiltes Gesicht an der Scheibe platt. Seit Stunden schon hocken sie im Gehäuse des auf der Bordsteinkante geparkten, mit dem Bug in den Gehsteig ragenden Wagens, eines NSU Prinz, und stellen sich als wahr gewordenes Reklamestandbild den teils davon faszinierten, teils darüber belustigten Passanten zur Schau. Die stolze Familie nennt nun eines der ersten Autos in der Straße ihr Eigen, von den anderen Anwohnern fahren die meisten mit dem Rad, der Trambahn oder der Zündapp, viele arme Schlucker gehen weiterhin auf Schusters Rappen zur Arbeit ins Obersendlinger Industriegebiet.
    Beinahe täglich begegnet Cornelius einem verhärmten, alterslos wirkenden Mann, der Zigarettenstumpen vom Pflaster aufliest und an der Heimgartenböschung Weinbergschnecken sammelt. Meist ist ihm schon eine Horde kreischender Kinder auf den Fersen, behände und gemein, die ihn weithin hörbar ankündigt:
Der Goggolori kommt, der Goggolori kommt!
Wenn es dem schwarzen Mann zu bunt wird, dreht er sich unwirsch um und verzieht sein müdes, stoppelbärtiges Gesicht zu einer verächtlichen Grimasse. Daraufhin stiebt die Horde seiner Verfolger auseinander und lässt eine Zeit lang von ihm ab. Der unnahbare Stadtstreicher, der zu jeder Jahreszeit und bei jedem Wetter in einen schäbigen Mantel gehüllt ist, haust in einem der nahen Schrebergärten, und eine beliebte Mutprobe besteht darin, sich an die armselige Hütte des Einsiedlers anzuschleichen, möglichst laut und mit fester Stimme
Goggolori
zu rufen, um dann feige und blitzschnell Reißaus zu nehmen. Eine andere Probe erfordert etwas mehr Mut. Dabei handelt es sich darum, sich von den Spielkameraden in einen stockfinsteren ehemaligen Luftschutzkeller sperren zu lassen und die panisch aufsteigende Angst vor dem lautlos in den Ecken lauernden Namenlosen und Unsagbaren so lange zu unterdrücken, wie es nur eben gehen mag.
    Auf den Straßen kann man noch jederzeit blinden und entstellten Menschen begegnen, fahlgrauen Kriegsversehrten, die ihre Glieder verloren haben, sich an Krücken voranschleppen oder im Rollstuhl sitzen. Gleich vielen anderen gestrandeten Existenzen, die zumindest äußerlich noch heil wirken, sind diese Parias oftmals mit einem Bauchladen unterwegs, verkaufen als bieder wirkende Hausierer an den Wohnungstüren Nähgarn, Strümpfe und Staublappen, gehen aber auch bloß fechten um Geld oder Brot. Manche wiederum stehen nur wortlos bettelnd an Straßenecken und vor Kirchtüren
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