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Wassermelone: Roman (German Edition)

Wassermelone: Roman (German Edition)

Titel: Wassermelone: Roman (German Edition)
Autoren: Marian Keyes
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falschen Getränke brachten oder sie ewig auf ihr Essen warten ließen. Sie gaben uns trotz allem ein üppiges Trinkgeld, weil sie glücklich waren, dass wir sie mit unserer Aufmerksamkeit beehrt hatten.
    Unser Wahlspruch lautete: »Nicht nur hat der Gast grundsätzlich unrecht, höchstwahrscheinlich ist er obendrein auch äußerst schlecht gekleidet.«
    Am fraglichen Freitagabend saßen James und drei seiner Kollegen in meinem Revier, und ich kümmerte mich auf die gewohnte verantwortungslose und schludrige Weise um sie. Das heißt, ich nahm praktisch keine Notiz von ihnen, hörte kaum hin, als ich ihre Bestellung aufnahm, und vermied jeden Blickkontakt. Andernfalls wäre mir womöglich aufgefallen, dass einer von ihnen (jawohl, natürlich James) mit seinen schwarzen Haaren, grünen Augen und knapp eins achtzig sehr gut aussah. Ich hätte durch den Anzug die Seele des Mannes erkennen müssen. Oberflächlichkeit, dein Name ist Claire.
    Aber ich wollte im Hinterzimmer bei den anderen Kellnerinnen sein, Bier trinken, rauchen und mit ihnen über Sex reden. Gäste waren da nichts als eine lästige Störung.
    »Kann ich mein Steak nur ganz wenig durchgebraten haben?« , fragte einer von ihnen.
    »Hm«, sagte ich unverbindlich. Ich war noch weniger interessiert als gewöhnlich, weil ich auf dem Tisch ein Buch gesehen hatte. Ein wirklich gutes, ich hatte es selbst gelesen.
    Ich las gern, und ich mochte Männer, die Bücher lasen. Mir gefielen Männer, die den Unterschied zwischen Existenzialismus und Magischem Realismus kannten. Schließlich hatte ich die letzten sechs Monate mit Leuten zusammengearbeitet, die mit Müh und Not imstande waren, die Zeitschrift der Bühnengewerkschaft zu lesen (wobei sie halblaut mitbuchstabierten). Mit einem Mal wurde mir klar, wie sehr mir eine gelegentliche intelligente Unterhaltung fehlte, und es gab mir einen Stich.
    Bei einem Gespräch über den modernen amerikanischen Roman konnte ich mit jedem mithalten. Sag mir was über Hunter S. Thompson, und ich sag dir was über Jay McInerney.
    Plötzlich waren die Leute an diesem Tisch nicht mehr lästig, sondern gewannen eine Art Identität.
    »Wem gehört das Buch?«, fragte ich unvermittelt und hörte auf, die Bestellungen aufzunehmen. ( Es ist mir egal, wie Sie Ihr Steak haben wollen. )
    Die vier am Tisch zuckten zusammen. Ich hatte das Wort an sie gerichtet! Ich hatte sie fast wie Menschen behandelt!
    »Mir«, sagte James, und als sich der Blick meiner blauen Augen mit dem seiner grünen über seinem Mango-Daiquiri kreuzte (bestellt hatte er ein großes Bier), war es um uns geschehen, der Zauberstaub hatte uns berührt. In diesem Moment geschah etwas Wunderbares. Vom ersten Augenblick an, da wir einander angesehen hatten, war uns klar, dass wir einem besonderen Menschen begegnet waren, auch wenn der eine sonst fast nichts über den anderen wusste. (Außer dass wir die gleichen Bücher mochten und einander gern ansahen.)
    Ich habe immer gesagt, dass wir uns an Ort und Stelle ineinander verliebt haben. Er hat nichts dergleichen gesagt; wohl aber hat er mich als hoffnungslos romantisch bezeichnet und erklärt, er habe mindestens eine halbe Minute länger gebraucht, sich in mich zu verlieben. Diesen Streit werden die Historiker austragen.
    Als Erstes musste ich dafür sorgen, dass er merkte, auch ich hatte das Buch gelesen. Da ich dort als Kellnerin arbeitete, hielt er mich vermutlich für irgendein dämliches Model oder eine dämliche Sängerin – ungefähr so, wie ich ihn als eine Art Untermensch eingestuft hatte, weil er im Büro arbeitete. Geschah mir ganz recht.
    »Haben Sie das gelesen?«, fragte er, offenkundig überrascht, wobei im Ton seiner Stimme die Frage mitschwang: »Können Sie überhaupt lesen?«
    »Ja, ich habe alle seine Bücher gelesen«, erklärte ich.
    »Tatsächlich?«, fragte er, lehnte sich nachdenklich gegen die Stuhllehne und hob interessiert den Blick zu mir. Eine Locke seines seidigen schwarzen Haares war ihm in die Stirn gefallen.
    »Ja«, brachte ich heraus. Ich spürte, wie mir vor Fleischeslust fast ein wenig schlecht wurde.
    »Die Verfolgungsjagden im Auto sind gut, was?«, sagte er. Dazu muss ich erklären, dass in keinem dieser Bücher irgendwelche Verfolgungsjagden mit Autos vorkommen. Es handelt sich um ernsthafte Literatur, in der es um Leben, Tod und dergleichen geht.
    Gott im Himmel!, dachte ich beunruhigt. Er sieht gut aus, ist intelligent und obendrein witzig. Ob ich das verkrafte?
    Dann lächelte er
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