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Wassermanns Zorn (German Edition)

Wassermanns Zorn (German Edition)

Titel: Wassermanns Zorn (German Edition)
Autoren: Andreas Winkelmann
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aus konnte Manuela die Toilettentür im Auge behalten. Über dem Kopf der Rechtsmedizinerin reckte ein stark vergrößerter Nashornkäfer sein nach hinten gebogenes Horn in die Höhe. Manuela fand das Bild wunderschön, aber auch bedrohlich.
    «Hast du all die Fotos gemacht?», fragte sie.
    «Ja.»
    «Warum gerade Insekten?»
    «Das sind Präparate, und sie sind im Tode genauso schön wie im Leben. Man sieht keinen Unterschied.»
    Manuela schnäuzte sich die Nase und sagte:
    «Ich habe nichts gemerkt.»
    Nina Vossfeld wusste genau, dass sie nicht die Käfer meinte.
    «Damit bist du nicht allein. Auch ich habe Nielsen immer für einen zwar etwas überheblichen, aber im Grunde doch integren Menschen gehalten», sagte sie. «Und ich kenne ihn länger als du.»
    «Wie kann das sein?», fragte Manuela, und die Frage richtete sie genauso an sich selbst wie an ihre neue Freundin. «Ich dachte immer, ich kenne mich aus mit Menschen.»
    «Er ist ein Meister der Manipulation. Er wusste genau, welche Knöpfe er wann bei dir drücken musste, wie du reagieren würdest. Antizipation nennt man das auch.»
    Manuela nickte. «Das macht mir noch jetzt am meisten zu schaffen: wie leicht er mich manipulieren konnte. Ich frage mich, ob ich für diesen Beruf wirklich geschaffen bin.»
    «Du wirst dich von einem solchen Mistkerl doch nicht aus der Bahn werfen lassen», sagte Nina eindringlich. «Dann hätte er ja nachträglich noch gewonnen! Es sind schon ganz andere Menschen auf die manipulativen Fähigkeiten von Soziopathen hereingefallen, und das wird auch immer wieder passieren. Wichtig ist doch, dass du ihn unschädlich gemacht hast.»
    «Mit mehr Glück als Verstand und einem narkoleptischen Taxifahrer als Lebensretter.»
    «Und wennschon. Komm, sei mal ein bisschen stolz auf dich, immerhin bist du noch in der Ausbildung. Apropos … wie lange bleibst du noch hier?»
    Manuela zuckte mit den Schultern.
    «Ein paar Wochen, so, wie es von Anfang an geplant war. Bender hat mir zwar nahegelegt, sofort in ein anderes Präsidium zu wechseln, aber das wollte ich nicht. So kann ich wenigstens noch Beweismaterial gegen Nielsen zusammentragen. Ich hoffe, wir finden seine Fingerabdrücke auf der Tüte oder dem Schmuck.»
    «Wenn du Hilfe brauchst, sag Bescheid.»
    «Mach ich.»
    Nina Vossfeld trat zu ihr und umarmte sie kurz. Manuela roch den Rest eines teuren Parfüms, überlagert von Desinfektionsmittel.
    «Und es würde mich wirklich freuen, wenn dein Weg dich mal wieder hierherführen würde. Eine Kommissarin wie dich können wir hier gut brauchen.»
    Manuela sah der Ärztin nach, die zu ihren Leichen zurückkehrte.
    In den letzten drei Tagen hatte sie sich Feinde gemacht, aber auch neue Freunde hinzugewonnen. Solange sich das die Waage hielt, konnte sie doch zufrieden sein.

    Manuela und Frank standen nebeneinander auf dem langen Steg und blickten auf den Gorreg hinaus. Unter dem hellblauen Himmel dieses ruhigen Tages wirkte er vollkommen anders als während des heftigen Sommergewitters. Man konnte kaum glauben, dass es sich um ein und denselben See handelte.
    Nach ihrem Besuch in der Rechtsmedizin waren sie rausgefahren, obwohl es hier nichts zu tun gab für sie. Aus irgendeinem Grund hatten beide das Bedürfnis verspürt, diesen Ort des Schreckens noch einmal aufzusuchen. Die ganze Fahrt über hatten sie geschwiegen.
    Draußen, wo der See sich weitete, sahen sie die kleinen schwarzen Boote der Polizeitauchereinheit. Acht erfahrene Männer waren seit zwei Tagen im Einsatz, und der Gruppenleiter hatte Manuela vor ein paar Minuten versprochen, dass sie erst aufhören würden, wenn sie sicher sein konnten, nichts zu finden.
    Denn noch fehlte eine Leiche.
    Lögur Turunnen war verschwunden.
    Die Polizeitaucher meinten, sie könnte in den extrem tiefen Bereich des Sees abgetrieben worden sein. Dort ging es über sechzig Meter hinunter in kalte Dunkelheit, und wenn sich die Leiche tatsächlich dort war, würden sie sie nicht finden.
    Manuela war sich sicher gewesen, dass der Wassermann ertrunken war.
    Mittlerweile war sie es nicht mehr. Sie zweifelte sogar schon an ihrer Beobachtung. Hatte sie sich, erschöpft und geschockt, wie sie war, dieses surreale Bild der nackten Gestalt, die aus dem Wasser stieg und Stiffler vom Steg riss, nur eingebildet?
    Nein, das konnte nicht sein. Es gab den Wassermann, und vielleicht lebte er noch.
    Ihr fröstelte bei dem Gedanken, und ihre Kopfhaut zog sich zusammen. Sie waren viel zu nah dran, viel zu nah an
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