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Wassermanns Zorn (German Edition)

Wassermanns Zorn (German Edition)

Titel: Wassermanns Zorn (German Edition)
Autoren: Andreas Winkelmann
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Vergangenheit holt dich ein, Stiffler.»
    Eric nahm das Handy vom Ohr und sah auf das Display. Entgegen seiner Gewohnheit hatte er es nicht getan, bevor er das Gespräch entgegengenommen hatte. Er hatte gerade Kaffee getrunken. Werkstatt ruft an , stand dort, gefolgt von einer Mobilnummer, die er nur zu gut kannte.
    Er presste das Handy wieder ans Ohr.
    «Hören Sie. Wenn …»
    «Nein. Du hörst zu, und besser ganz genau, denn ich werde es nur einmal sagen. Sie badet, Stiffler … Sie badet, und wenn du sie nicht rechtzeitig findest, wird es das letzte Bad ihres Lebens sein. Sie hat nach dir gefragt, und ich habe ihr gesagt, dass du zu feige bist, um ihr zu helfen. Hab ich recht damit? Bist du immer noch so ein gottverdammter Feigling?»
    Die Stimme troff geradezu vor Hass. Eric spürte, wie sich sein Magen zu einem festen Klumpen verkrampfte und die Säure in die Speiseröhre drückte.
    Er hasste es, ein Feigling genannt zu werden, hatte es schon in der Schule gehasst. Schon damals war er klein und spindeldürr gewesen, keiner körperlichen Auseinandersetzung gewachsen. Er hatte früh gelernt, dass man den rauflustigen Rabauken nur durch Flucht oder Schlauheit entkommen konnte, und darauf seine Lebensstrategien aufgebaut. Auf dem Präsidium hatte mal jemand behauptet, er habe keinen Arsch in der Hose. In physischer Hinsicht stimmte das, jede Hose schlackerte an ihm herum wie ein Segel im Wind, aber der Kollege hatte es natürlich im übertragenen Sinn gemeint. Tja, heute war er nicht mehr da, weil er sich nach diesem dummen Spruch auch noch einen Fehler geleistet hatte.
    Eric drehte sich mit dem Handy am Ohr im Kreis. Er stand in der Nähe des Marktplatzes am Zeitungskiosk, an dem er sich seinen üblichen Feierabendkaffee geholt hatte. Jetzt, am späten Nachmittag, herrschte in der Fußgängerzone der Vierhunderttausend-Einwohner-Stadt reger Betrieb. Menschen eilten vorbei, ohne von ihm Notiz zu nehmen, aber er konnte in der Menge niemanden ausmachen, der sich für ihn interessierte. Trotzdem hatte er das Gefühl, beobachtet zu werden.
    «Wenn du ihr auch nur ein Haar krümmst, ich schwöre dir …»
    «Halt deine Klappe und beeil dich besser.»
    Damit war das Gespräch beendet.
    Eric Stiffler blieb mit dem Echo dieser nasal-nassen, hasserfüllten Stimme im Kopf zurück. Er fühlte sich wie gelähmt. Den Betrieb um sich herum nahm er nur noch als ein gedämpftes Hintergrundrauschen wahr.
    Eben noch hatte er sich auf den Feierabend gefreut, hatte mit dem Duft des frischen Kaffees in der Nase und den warmen Sonnenstrahlen auf dem Gesicht überlegt, ob er heute vielleicht den Rasen mähen und sich danach auf die Terrasse legen sollte, statt wie immer nur vor der Glotze abzuhängen. Er könnte auch den Grill, der seit Jahren schon nicht mehr benutzt worden war, aus dem Schuppen holen und ein paar Würstchen auf den Rost legen. Das Wetter war danach, also warum nicht? Es war ein schöner Gedanke gewesen, und er hatte sich gut gefühlt. All die Schatten, die ihn sonst stets umgaben, waren einer sonnigen Helligkeit gewichen. Alles schien möglich.
    Aber jetzt nicht mehr. Dieser Anruf hatte das kurze Aufflackern von Entschlossenheit und Unternehmungslust im Keim erstickt.
    Er sah Annabells Gesicht vor sich. Ihr schwarzes Haar, ihre helle, ebenmäßige Haut. Die leichten Grübchen neben ihren Mundwinkeln, die ihr Lächeln so ehrlich wirken ließen. Ihre dunkelbraunen, mandelförmigen Augen, die Ruhe und Gelassenheit ausdrückten. In diesem Moment begriff er, dass ihn schon immer ihre Augen am allermeisten fasziniert hatten. Aber dieses Begreifen ging darüber hinaus, bohrte sich schmerzhaft in seine Eingeweide und riss ein Tor weit auf, hinter dem Einsamkeit und Verlust lauerten.
    Mit zittrigen Fingern öffnete er das Telefonbuch seines Handys und suchte ihre Nummer heraus, die er unter «Werkstatt» gespeichert hatte. Er ließ es eine Weile klingeln, legte aber auf, bevor die Mailbox seinen Anruf entgegennehmen konnte.
    Seine Gedanken überschlugen sich. Wieso jetzt? Wieso sie? Wer war das gewesen am Telefon? Die Vergangenheit holt dich ein, Stiffler. Die lange verschüttete Erinnerung drängte sich erneut machtvoll in sein Bewusstsein, und Eric bemühte sich nach Kräften, sie zurückzudrängen. Er durfte jetzt keinen Fehler machen und sich nicht zu überstürzten Aktionen hinreißen lassen, denn wahrscheinlich war es genau das, was der Anrufer beabsichtigte.
    Eric warf den vollen Kaffeebecher in den Mülleimer. Dann
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