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Was wir unseren Kindern in der Schule antun

Was wir unseren Kindern in der Schule antun

Titel: Was wir unseren Kindern in der Schule antun
Autoren: Sanbine Czerny
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der Schule oder früher im Kindergarten war. Dennoch ließen sie ihre finanziellen Sorgen, die Tatsache, dass sie nie einfach einmal durchatmen konnte und seit Jahren keinen Urlaub, keine Erholung mehr hatte, so verzweifeln, dass sie einmal schluchzte: „Wissen Sie, Frau Czerny, manchmal wünschte ich, mein Kind wäre nicht geboren. Auch ich will mal wieder ein Stück meines Lebens
haben! Manchmal denke ich daran, mein Kind auszusetzen.“ Ich wusste, sie würde das nie tun, aber sie war verzweifelt und brauchte Hilfe. Und allein das einmal aussprechen zu können, hat ihr gutgetan: Wir konnten nun gemeinsam Unterstützungsmöglichkeiten suchen, wir schalteten Ämter ein, von denen sie noch nicht einmal wusste. Nach einigen weiteren Elterngesprächen hatten wir gemeinsam eine für sie annehmbare Lösung gefunden, die nicht nur einem vordergründig pragmatischen Ansatz entsprang, sondern die Bedürfnisse dieser Mutter mit einbezog und sie ihre Selbstachtung behalten ließ. Dennoch hat sie jetzt das Gefühl, sich ständig vor den Behörden für alles rechtfertigen zu müssen, im Gegenzug für deren Hilfe mit ständiger Kontrolle durch diese Ämter leben zu müssen und fremdbestimmt zu sein.
    Da ist die Mutter, die zum zweiten Mal geheiratet und mit dem neuen Mann eine kleine Tochter bekommen hat. Der ältere Sohn wird vom neuen Ehemann nicht angenommen, seitdem tobt und rebelliert er, seine Mutter ist hilflos und droht ihm mit dem Kinderheim. Die Kleine ist der Sonnenschein, und ständig wird der Sohn mit ihr verglichen, nichts kann er recht machen. Körperlich stärker als seine Mutter ist er bereits im Alter von acht Jahren, einige tätliche Auseinandersetzungen gab es schon zwischen den beiden. Sie ist verzweifelt, denn von ihrem Mann bekommt sie keine Unterstützung, der fährt sie, wenn er abends nach Hause kommt, nur an, dass die Kinder still zu sein haben — er wolle fernsehen. Eine Familientherapie wird ihr nur für zehn Stunden bewilligt. Da will ihr Mann aber ohnehin nicht mit, allein der Vorschlag lässt ihn ausrasten.
    Da sind die Familien, bei denen die Eltern in zwei oder gar drei Jobs arbeiten müssen, um die Familie überhaupt ernähren und die Wohnung zahlen zu können. Viele davon Migrantenfamilien, die teilweise jahrelang ihre Verwandten im früheren Heimatland nicht gesehen haben und sich jeden Cent vom Mund absparen, um wenigstens hin und wieder die Großeltern besuchen zu können. Und dann kommt ein Politiker auf die Idee, an den Flughäfen Kontrollen zu veranlassen, damit ja niemand mit Kindern ein oder zwei Tage vor Ferienbeginn wegfliegt
— anstatt sich dafür einzusetzen, dass nicht mit Ferienbeginn die Preise in astronomische Höhen steigen und dadurch das Reisen für viele Familien gar nicht mehr finanzierbar ist. Alle Eltern haben Erholung nötig, und insbesondere jene, die ihre Kinder unter erschwerten Bedingungen großziehen. Es ist nicht die Armut an sich, die eine unzureichende Kindererziehung bewirkt, aber Armut schafft Situationen und Umstände, in denen ein freudvolles, entspanntes und anregendes Miteinander kaum mehr möglich ist. Die Eltern sind oft so belastet, dass sie trotz größtem Bemühen einfach keine Kapazitäten mehr für ihre Kinder haben.
    Ich erinnere mich auch noch gut an die Mutter, die mich bat, das Kopiergeld von zwanzig Euro in Raten zahlen zu dürfen. Oder an ein Kind, das mit Heften in die Schule kam, auf deren Schutzumschlägen jeweils sieben Etiketten klebten. Als ich sie einzeln ablöste, merkte ich, dass jedes der vier Kinder dieser Familie diese Umschläge mehrfach in verschiedenen Schuljahren verwendet hatte. Sie starrten vor Dreck und waren eingerissen. Mit Umweltschutz und bewusstem Wiederverwenden hatte das nichts zu tun, die Familie hatte einfach nicht genug Geld.
    Einige Kinder kommen ohne Essen für die Pause in die Schule, auf Nachfrage geben sie stets an, keinen Hunger zu haben. Vielleicht müsste jeder einmal erleben, wie es ist, wenn eines dieser Kinder zur Weihnachtsfeier, zu der jeder etwas zum Büfett beitragen sollte, ein orangefarbenes Netz mit Semmeln mitbringt. Jene trockenen Brötchen, die es beim Discounter für wenige Cent gibt und die die ganze Weihnachtsfeier liegenbleiben, weil niemand sie essen mag. Dieses Kind aber packt das übrig gebliebene Brot danach wieder ein und nimmt es mit nach
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