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Was wir unseren Kindern in der Schule antun

Was wir unseren Kindern in der Schule antun

Titel: Was wir unseren Kindern in der Schule antun
Autoren: Sanbine Czerny
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Riesenunterschiede offenbaren sich: Einige Kinder können bereits lesen, andere kennen noch keinen einzigen Buchstaben. Problematisch ist das nicht. Auch nicht für die Kinder. Solange die einzelnen Phasen, in denen man sich mit einer Aufgabenstellung
beschäftigt, nicht zu lange dauern, machen alle fröhlich mit. Mal liest Jonas ganze Sätze, dann zeigt Sarah auf einen Buchstaben. Wir machen alles gemeinsam, jeder trägt etwas bei, und insgesamt ist es gut. Für Kinder ist es wichtig, dazuzugehören, ein Teil von einem Ganzen, Großen zu sein. Wer dazu was und wie viel beiträgt, ist den Kindern egal. Mir übrigens auch. Ich weiß, dass jedes Kind lesen, schreiben und rechnen lernen wird und noch vieles mehr, wenn es mir gelingt, ihnen die Freude daran zu erhalten.
    In den letzten Jahren fällt mir mehr und mehr auf, wie jung die Kinder bei der Einschulung noch sind. Seit die Regierung das Einschulungsalter systematisch herabgesetzt hat, hat sich viel geändert. Hatte ich früher hauptsächlich Siebenjährige in der Klasse, sind es nun zumeist Sechsjährige, gut eine Handvoll Fünfjährige und vielleicht ein oder zwei vom Schulbesuch im vergangenen Jahr zurückgestellte Siebenjährige. Der Unterschied ist gravierend. Die Kinder waren früher wirklich reif genug, um einen Schultag zu durchleben. Heute blicke ich meine Zwerge an und merke, dass sie oft am liebsten einfach nur auf dem Boden mit Bauklötzen spielen wollen.
    Für manche Eltern scheint es jedoch beschämend, ihr Kind zurückstellen zu lassen, fast so, als würden Eltern glauben, ihr Kind sei weniger begabt, wenn es nicht so frühzeitig wie möglich eingeschult wird. Andere wiederum fürchten den Leistungsdruck, dem ihr Kind in der Schule ausgesetzt ist. Sie haben erkannt, dass Zeit in unserem Schulsystem eine große Rolle spielt, dass ältere und reifere Kinder die größeren Chancen haben, den Leistungsanforderungen zu genügen und so anschließend leichter auf weiterführende Schulen zu kommen. Daher setzen sie oft alle Hebel in Bewegung, um ihr Kind zurückstellen zu lassen.
    Für manche ist die Frage der Einschulung auch einfach eine finanzielle Frage: Der Kindergarten kostet, die Schule nicht. Und manchmal entscheidet auch die Schule insgeheim über das einzelne Kind hinweg, nämlich dann, wenn es darum geht, noch eine weitere Parallelklasse bilden und damit die Klassengrößen senken zu können.

    Doch die Unreife der Kinder hängt nicht nur mit ihrem Alter zusammen, sondern unter anderem damit, dass Kinder heutzutage ganz anders aufwachsen als früher. Viele wichtige Erfahrungen machen sie nicht mehr selbst, sondern über den Bildschirm. Auf jeden Fall wäre es meines Erachtens derzeit für wenigstens die Hälfte der Kinder sinnvoll, erst etwas später eingeschult zu werden. Zumindest solange Schule so gestaltet wird wie zur Zeit üblich. Den Kindern fehlen oft ein paar wertvolle Monate — die jedoch in diesem Alter manchmal „Welten“ ausmachen.
    Zwar ist es nicht so, dass die Kinder die Unterrichtsinhalte an sich nicht bewältigen würden. Aber auf welche Weise? Wie mühsam ist für sie Schule und alles, was damit zu tun hat! Eltern berichten, dass ihre Kinder völlig erschöpft nach Hause kommen und die Hausaufgaben allein deshalb zur Qual werden. Manchmal brauchen sie dafür Stunden, obwohl eigentlich alles in gut dreißig Minuten zu schaffen wäre. Die Kinder gehen gern zur Schule, keine Frage, aber der Unterricht ist einfach sehr anstrengend für sie. Nicht etwa wegen der Inhalte wie Lesen, Schreiben oder Rechnen. Eine halbe Stunde aufmerksam zu sein, das geht. Viel länger nicht wirklich. Kleine Kinder in diesem Alter können und wollen einfach noch nicht so lange ihre Aufmerksamkeit gezielt auf vorgegebene Themen richten und ständig unter Erwartungsdruck stehen. Sie wollen gern noch ein wenig für sich sein, sie sind neugierig auf die Welt und finden immer wieder etwas anderes für sie Überraschendes und Interessantes, dem sie sich dann unvermittelt zuwenden.
    Ich erlebe auch, dass selbst freies Arbeiten in der Form, wie es in den Regelschulen durchgeführt wird, bei den ganz Kleinen wenig sinnvoll ist. Haben sich früher die Kinder bereits in der zweiten Woche aus einem inneren Interesse heraus allein mit Buchstaben oder Zahlen beschäftigt, waren an allem um sie herum interessiert,
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